- 110. Print-Ausgabe, Frühlings-LUST 2012
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- Sehnsucht nach Frieden
Ostermärsche werden derzeit vorbereitet. Wir nahmen daran
teil. Was könnte heute der spezielle Beitrag der Lesben-
und Schwulenbewegung zu den Friedenskundgebungen sein?
Ich bin 1944 geboren, also noch im Krieg. Meine Mutter ist in
den letzten Kriegsjahren nach Niederbayern evakuiert
worden, sie erlebte mit ihrer Mutter und mich als Säugling
eine schlimmer Zeit auf einem Bauernhof, wohl weil dem Bauer
die Einquartierung nicht recht war.
In der Schule habe ich in den letzen Klassen der Knaben-Volksschule
am Blücherplatz Texte von Wolfgang Borchert zu lesen
bekommen. Obwohl es schon die Bundeswehr gab, wurden solche Texte
noch gelesen, doch ließ dies zunehmend nach. Besonders
dort, wo eine sozialdemokratische Dominanz in den Schulen war,
also in Hessen, hielten sich pazifistische Ansätze noch
länger, zumal der Pazifismus in der hesischen Verfassung
Verfasungs-rang hat. Erst durch die 68er Bewegung tauchten dann
pazifistische Texte wieder in den Schulen auf.
Ich kann mich noch erinnern, dass ich als Kind in Wiesbaden auf
den Bürgersteigen mit weißer Farbe aufgemalte Stahlhelme
sah, die durchgestrichen waren, manchmal stand da auch ohne
uns oder ohne Barras.
Ich wusste damals nicht, was das bedeutet, und ich glaube mich
erinnern zu können, dass mir das auch niemand erklä#ren
wollte oder dass ich die Erklärungen vielleicht auch nicht
verstanden hatte.
Was sich als 68er Bewegung zunehmend in mein Bewusstsein schob,
hatte mich von Anfang an fasziniert. Und mich faszinierte auch
das, was in den Medien beschimpft wirde, vielleicht gerade, weil
es niedergemacht wurde, nämlich diese langhaarigen ungewaschenen
(weil oftmals bärtigen) Typen mit ihren hautengen Jeans.
Vielleicht waren es auch diese Bilder, die mir die 68er Szene
verlockend erscheinen ließ, lange vor meinem Coming-out.
Auf jeden Fall, die angebliche Unmoral der 68er zog mich im Gegenteil
gerade an. Nur fand ich gar nicht soviel Unmoral vor, wie ich
erhofft hatte.
Dass sich die 68er Bewegung, die schon eine längere Vorgeschichte
hatte, gerade am amerikanischen Vietnamkrieg kristallisierte,
ist kein Zufall und belegt deutlich, dass der Pazifismus in den
Köpfen der damaligen Jugend immer noch eine moralische Größe
darstellte. Spätere ideologische Einordnungen dieses Protestes
waren aber bei uns noch nicht vorhanden, wir waren über
das amerikanische Vorgehen entrüstet, weil es grausam war
und weil hier eine Großmacht ein kleines Volk bekämpfte.
Große Teile der jungen Bevölkerung waren pazifistisch.
Selbst die Bundeswehr rechtfertigte ihre Existenz damals vor
den eingezogenen jungen Soldaten damit, dass sie eine reine Verteidigungsarmee
darstellte und dass Bundswehrsoldaten daher nicht nach Russland
müssten, wie dies von alten Leuten damals beinahe gefordert
wurde. Aber: trau keinem über 30 hieß
es ja in der 68er Revolte. Klar, das war nicht nur aggressiver
Jugendkult, die über-30-Jährigen hatten noch was, oft
als Kind, von der Nazizeit mitbekommen und galten so als kontaminiert.
Eine blöde Auffassung, denn es gab ja auch Widerstandskämpfer
und NazugegnerInnen. So erlebte ich dies damals.
Widerstand gegen den Militarismus zu wagen, gilt wohl vor unseren
Gerichten nicht als Widerstand, sondern als Straftat. Gerade
heute erreichte uns per Mail folfender Aufruf:
Im Februar 2008 blockierten Aktivist_innen einen Transportzug
der Bundeswehr, um gegen den kriegerischen Normalzustand in der
BRD zu demonstrieren. Mit einer Ankettaktion gelang es den Antimilitarist_innen
damals, den Zug für mehrere Stunden aufzuhalten.
Die angekettete Aktivistin Hanna Poddig wurde in langwierigen
Prozessen zu 90 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt, eine
Verfassungsbe-schwerde wegen der Verletzung ihres Grundrechts
auf Versammlungsfreiheit wurde vom Verfassungsgericht nicht zur
Entscheidung angenommen.
Da die Aktivistin sich dagegen entschieden hat, die Strafe zu
bezahlen, erschien sie am 15.03.2012 am Knast in Frankfurt/M.
zum Haftantritt. Hanna: Kriege gehören längst
wieder zum Standardrepertoire deutscher Außenpolitik. Dagegen
habe ich mich mit der Aktion gewandt und dazu stehe ich heute
unverändert. Es ist eben dieser zunehmend militarisierte
Staat, der auf der einen Seite Kriege führt und auf der
anderen Seite dann die Gegnerinnen dieser Politik verfolgt und
bestraft. - Hanna freut sich über solidarische Aktionen
gegen die kriegerische Normalität. Wer ihr schreiben möchte
kann dies unter folgender Adresse tun:
Hanna Poddig, JVA Frankfurt, Obere Kreuzäckerstraße
4, 60435 Frankfurt am Main - Unterstützt Hanna mit einer
Patenschaft und übernehmt symbolisch einen Tagessatz ihrer
Strafe.
Aber vielleicht war auch schon der Umbruch, weg vom Pazifismus,
in den jungen protestierenden Menschen im Ansatz vorhanden, nämlich
dass man das tapfere viet-namesische Volk bewunderte und die
imperialistischen Truppen als unerträglich empfand, so dann
auch die Bundesregierung im Bündnis mit den USA, dass man
also die militärische Verteidigung zum Beispiel der Vietnamesen
dann dennoch für notwendig ansah und es so empfand, wie
wir das so sahen. Wir hielten teiner Barzels Versprecher für
nicht ganz so zufällig, als er über den bescheidenen
Beitrag Deutschlands im Viernamkrieg sagte: Zur atomaren
... zur zur humanitären Hilfe.
Erst später, als ich in der aufkommenden 68er Schwulenbewegung
war und an den Diskussionen dort teilnahm, war klar, dass die
eigenständige Organisierung nicht in Ablehnung zur restlichen
68er Bewegung und ihren Inhalten geschah, sondern aus der Notwenigkeit
heraus, den anderen 68ern zu vermitteln, dass die Befreiung des
homosexuellen Lebens mit in das Spektrum der sexuellen Befreiungen
gehörte und nicht auch hier ausgegrenzt gehört, wie
dies durch so manche 68er Sexualbefreier durch-aus geschah.
Die frühe Schwulenbewegung war also pazifistisch, weil man
damals einfach pazifistisch war, wenn man links war. Und das
war nicht nur so, dass man gegen den Krieg war, sondern überhaupt
auch gegen das Soldatentum und dem Militarismus, also die Ideologie
der machbaren militärishcen Lösungen und die Ausrichtung
der Gesellschaft auf militärische Normalitäten.
Als Student an der Frankfurter Uni in der Hochzeit
der antiautoritären studentischen Auseinandersetzungen gegen
konservative Autoritäten, im Schulkampf, im Häuserkampf
und den Anti-Vietnamkriegs-Demonstrationen gegen das amerikanische
Konsulat, das mit Stacheldraht und Polizeisperren gesichert war,
handelte man beim Steinewerfen offensichtlich auch militant gegen
den US-Militarismus, ohne diesen Widerspruch so richtig zu realisieren.
Allerdings muss man sagen, dass die Polizei nun wirklich nicht
zimperlich mit den DemonstrantInnen umging. So schaukelte sich
Gewalt gegenseitige hoch, obwohl man ja ursprünglich für
Gewaltlosigkeit eintrat.
Darf sich ein Pazifist gewaltsam wehren, wenn er angegriffen
wird und bleibt man dann noch Pazifist? Und wer definiert, wann
man selber angreift und wann man angegriffen wird? Dies wurde
eigentlich nimals wirklich ausdiskutiert. Aber im offfiziellen
Sprachgebrauch wurde sogar von einer Verteidigungspflicht und
nicht nur dem Recht, sondern die Pflicht auf Widerstand gesprochen,
das unsere Verfassung vorgibt, wenn ein Unrechtsstaat droht.
Ich kann mich erinnern, dass bei bestimmten Demonstartionen Leute
mit Schildern mitgelaufen sind, worauf stand: Hier beginnt
mein Recht auf Widerstand. Selbstbestimmung also in dieser
Frage? Nein, ich weiß, dass dieser Widerstand von unseren
Volksvertretern beschlossen und verkündet werden muss. Das
kam wegen der Nazizeit ins Grundgesetz, was mich irritiert. Als
die Nazis in Deutschland die Macht ergriffen hatten, geschah
dies nämlich im Rahmen der gesetzlichen Ordnung und mit
der erforderlichen parlamentarischen Mehrheit.
Das Antiautoritäre in Verbindung mit der sexuellen Befreiung
wurde auch von Sexualwissenschaftlern des Institutes für
Sexualforschung der Uni Frankfurt aufgegriffen und begleitete
das selkbstbewusst Werden der Schwulenbewegung, die sich bis
in die Provinz verzweigte, indem auch in kleinen Städten
überall Schwulengruppen entstanden, in denen auch Frauen
mitmachten.
Manche Frauen in der Schwulenbewegung waren Lesben, deshalb nannten
sich ab der 2. Hälfte der 70er Jahre viele Schwulengruppen
in Lesben- und Schwulengruppe um.
Viele Schwulengruppen sahen als beste(n) politische(n) Verbündete(n)
die Frauenbewegung an. Dies änderte sich, als namhafte Lesben
die Frauenbewegung verließen, um sich mit Schwulen zusamen
auch gegen die Diskriminierung homosexueller Frauen in der Frauenbewegung
zu ehren und nachdem aus der Frauenbewegung immer häufiger
sexualfeindliche und schwulenfeindliche Äußerungen
zu hören bzw. in der Emma zu lesen waren, und wir begegneten
dann tatsächlich Freuen, die solche Töne gegen uns
brav und lustvoll anbrachten.
Die Gruppen dieser ersten Schwulenbewegung waren politisch links,
sie waren an einem freien bzw. befreitem Sexualleben interessiert
und bisweilen missionarisch in der links-alternativen Szene tätig,
indem sie besonders den Männern der linken Szene, die ihnen
gefielen, näherzubringen versuchten, dass zu sexuellen Befreiung
auch gehöre, seine homosexuellen Anteile zu entdecken und
entwickeln.
Dies sahen in dieser linken Bewegung viele Männer und auch
ihre Frauen eigentlich eher nicht als Teil ihrer sexuellen Befreiung
an. Ich erinnere an die Rockgruppe Ton, Steine, Scherben,
deren schwule Lieder dann einfach einfach nicht als schwule Lieder
erkannt wurden.
Die Schwulenbewegung der 60er und 70er Jahre hatte über
den 68er Rahmen hinaus als politisches Ziel die Aufhebung des
§ 175 StGB und die Anerkennung verschiedener selbstasugesuchter
Partnerschaftsformen auch bei homosexuellen Partnerschaften als
selbst bestimmten Lebensentwurf. Die traditionelle Ehe wurde
seinerzeit auch in den Sozialwissenschaften als überholt
angesehen, nicht zuletzt weil sie auch bei den Heten und in der
Frauenbewegung als repressiv definiert wurde.
Mit Teilen aufklärender Sexualwissenschaftler entwickelten
wir das Modell eines Beziehungsnetzes, in dem sowohl der überall
vorhandenen sexuellen Promisquität wie der Beziehungssehnsucht
ohne Zwang und Eifersucht Rechnung getragen wurde bzw. werden
sollte. Doch wurden diese Ansätze von der AIDS-Katastrophe
und der Kampagne zur Schwulenehe einfach überrollt.
Es gab, was Beziehungen schwuler Männer betrifft, einen
Streit auch zwischen den schwulen Sexualwissenschaftlern. In
den Sozialwissenschaftlichen Studien unter der der
Regie des Bremer Professors Rüdiger Lautmann wurde u.a.
herausgearbeitet, dass die Partner längerdauernder schwuler
Beziehungen im Gegensatz zu heterosexuellen oder lesbischen Beziehungen
die Partner üblicherweise ihre jeweilige wirschaftliche
Eigenständigkeit beibehielten und Eifersucht bezüglich
der Sexkontakte des Partners mit anderen keine wesentliche Bedeutung
habe, weil man einen anderen Treuebegriff entwickelt hatte.
Dannecker und Reiche vom Institut für Sexualwissenschaften
in Frankfurt meinten stattdessen, dass solche Fragestellungen
nach Treue in der Beziehung eher heterosexuelle Fragestellungen
seien. Homosexuelle Männer seien bezüglich Sexualität
generell promisk und daher sei die Fragestellung, ob sie das
mit oder ohne Beziehung machten, unerheblich.
Die pazifistischen und antiautoritären Grundlagen der Schwulen-Lesbenbewegung
und der 68er Moral wurden später in allen Bereichen des
Lebens vom neuen Zeitgeist unterlaufen, der die neu erworbenen
Freiheiten kommerzialisierte und als Ergänzung wieder konservativere
Modelle anbot, die sich überall einschlichen. Hierrarchische
Strukturen entstanden auch in schwulen Verbänden und es
gab ja auch schon immer in Wirtschaftsunternehmen homosexueller
Menschen, zum Beispiel in kommerziellen Szene-Großbetrieben,
die ihre Hierarchie nie infrage stellten.
Unsere Ideale nach der Antiautoritären Beifreiung auch am
Arbeitsplatz, in zwischenmenschlichen Umgang und in den Beziehungen
fanden keinen gesellschaftlichen Rahmen mehr vor, indem er sich
entfalten konnten. Nur in kleinen Inseln war es noch begrenzt
möglich, hier einen Teil vom befreiten Lebensglück
gemensam zu leben, in dem man nicht zu lügen braucht. Das
ging noch wie in städtischen Wohngemeinschaften oder in
den Landkommunen.
Viele Menschen der Schwulenbewegung bemühten sich, eine
Verknüpfung zwischen den Gruppen und der kommerziellen Schwulenszene
zu erreichen. Wir sahen dies so, dass die Menschen in der Szene
für unsere Inhalte erreicht werden müssten und das
gehe nur über die Wirte und im Einklang mit ihnen. Ziel
war uns, dass das Versteckspielen und die verlogene Doppelmoral
der heterosexuellen durch Prostitution abgesicherten monogamen
Ehe nicht zu den Problemen schwulen Lebens noch hinzukommen sollten,
sondern dass wir weitgehend autentisch sein können, weil
wir relativ offen mit unseren Wünschen und Sehnsüchten
umgehen können. Darin waren gerade wir mit unseren Medien
recht ertolgreich und viele Wirte, die uns seit vielen jahren
noch heute unterstützen, tun dies seit dieser Zeit. Wir
wollten also den Selbstbehauptungsvirus der 68er Bewegung, der
die Grundlage der Schwulenbewegung war, in die Szene tragen.
Ich erinnere mich noch, wie der Wirt einer kleinen Frankfurter
Kneipe (Pink Elefant) mich fragte, was denn der Unterschied zwischen
seinem Betrieb und einem selbstverwalteten Betrieb
sei. Er würde seinen Betrieb doch auch selbst verwalten.
Die selbstverwalteten Betriebe wurden z.B. von den CSD-Organisatoren
und anderen Bewegungsgruppen unterstützt. Selbst viele Schwulenzentren
waren selbstverwaltet. Die Teilnehmer beschlossen alles gemeinsam,
es gab keinen Chef.
Auch dies änderte sich nach und nach. Wenn der gesellschaftliche
Hintergrund für solche demokratische Strukturen wegfällt,
schleicht sich überall dann der neue Zeitgeist ein, der
oftmals älter ist, als es die Akteure wissen.
Es gab, was die Wehrpflicht schwuler Männer betraf, Beratungsstellen
für schwule Wehrdienstverweigerer, denn die männerbündlerischen
Sozialgruppierungen, zum Beispiel Militärkameradschaften
oder Fußball clubs, wie der Soziologe Schelsky dies nannte,
benötigen ja für ihren inneren Zusammenhalt die Frauenzote
und die agresive Ablehnung der Homosexualität. Militarismus
war also auch eine Einrichtung, die uns von Natur aus nicht wohlgesonnen
war, so sahen wir das.
Heute gibt es sowohl im Militär als auch bei der Polizei,
selbst in terroristischen oder gewalttätigen Naziverbindungen
auch Frauen, sodass diese männerbündlerischcen
Sozialgruppierungen ihre Aggressivität wohl nicht dadurch
erlangen, weil dort Männer unter sich sind. Und der Mythos
der friedlichen und verständnisvollen Frau im Gegensatz
zum aggressiven machtbewussten mann, wurde schon, wie wir in
unserer Schwulen- und Llesbengruppe in Umfragen ermittelten,
bei Frauen gegenüber ihren Kindern unterlaufen, in vielen
Beziehungen unterlaufen und bei Frauen in den Folterlagern von
Abu Greif sowie den Frauen, die als KZ-Wächterinnen mehr
als ihren Dienst taten.
Dass als Frauen per se Pazifistinnen seine und Männer per
se im Gewalttäter, wie es Teile der Frauenbewegung uns einzureden
versuchten, verfing gerade unter Schwulen nicht. Dies ist vielleicht
ein Grund der feministischen Angriffe gegen die Schwulenbewegung,
ein anderer Grund ist die offene Sexbe-zogenheit gerade in der
Schwulenbewegung.
In den selbstverwalteten Beratungsstellen gegen die Wehrpflicht
schwuler Männer wurde darüber gesprochen, dass man
wegen Leistungsfunktionsstörung nicht gezogen
würde, wenn man sich bei der Musterung tuntig gebe und die
anderen jungen Männer dort offen anbaggern würde. Allerdings
gab es die Angst, dass der Vermerk der Leistungsfunktionsstörung
später schädlich für Bewerbungen im Staatsdienst
sein könnte.
Eine große Diskussion setzte in der schwulen Bewegung und
im schwulen Blätterwald ein, als die Gruppe schwuler Soldaten
BASS entstand und sich in der Bewegung wie der Szene öffentlich
machte. Dass es Schwule bei der Bundeswehr gab, was ja wegen
der Wehrpflicht ohnehin sicher war, widersprach dem pazifistischen
Anspruch der Schwulenbewegung. Noch mehr widersprach ihm, wenn
man dort auch noch Karriere machen wollte.
Einen Rückschlag ideologischer Art, auf den die Schwulenbewegung
hilflos reagierte, gab es schon, als Frau Schwarzer verlangte,
dass Frauen bei der Bundeswehr wie Männer an der Waffe ausgebildet
werden müssten.
Viele Schwule fanden genau diese Forderung gut, vielleicht mit
einer gewissen Schadenfreude, da Män-ner ja zum Militär
mussten und die an Gleichberechtigung interessierten Frauen nicht.
In der links-alternativen Szene jedoch war man dagegen, und begründete
dies damit, dass man Pazifist sei und die Frauen schon mal nicht
zum Militär müssten, das mit den Männern müsse
auch erreicht werden.
Und nun protestierten schwule Soldaten offen gegen Bemerkungen
des Verteidigungsministers Wörner in der sogenannten Kiesling-Affäre,
Schwule könnten keine militärischen Führungskräfte
wegen ihrer Erpressbarkeit sein, dass solche Behauptung Schwule
erst erpressbar machen würden. Selbstverständlich bekam
die Gruppe BASS die volle Unterstütztung der Schwulenbewegung,
obwohl man Pazifist war. Was sollte man denn sonst mache?
Erst seit der rotgrünen Bundesregierung (Verteidigungsminister
Scharping) gab es einen Erlass, der verfügte, dass homosexuelle
Männer nicht anders zu behandeln seien wie heterosexuelle
(Der wurde uns zugespielt und wir hatten ihn im vollen Wortlaut
veröffentlicht).
Das hatte zweifellos auch etwas Emanzipatorisches im Sinne der
Integration von schwulen Männern aber nicht im Sinne einer
schwulen oder schwul-lesbischen Anti-Militarismus-Haltung.
Heute gibt es den Arbeitskreis BASS anscheinend nicht mehr, aber
stattdessen die Organisation homosexueller Soldaten in der Bundeswehr:
http://www.ahsab-ev.de/, die wohl noch besser an die heutige
Situation angepasst ist.
Das Wesen der Integration ist, dass man angepasst wird, auch
in Bereichen, die überhaupt nicht passen.
Wir als Kern der Gruppe ROSA LÜSTE unterzeichnen regelmäßig
den jährlichen Aufruf der Mainzer und Wisbadener Gruppen
zum Ostermarsch Mainz-Wiesbaden, der in diesem Jahr in Wiesbaden
stattfindet. Wir tun das, weil wir noch immer pazifistisch, antiautoritär
und antihierarchisch denken, was in der Schwulenbewegung bzw.
Lesben- und Schwulenbewegung nicht mehr für selbstverständlich
angesehen wird.
Und wir müssten, wenn man uns danach fragen würde,
zugeben, dass schwule Männer und lesbische Frauen ebenso
wie heterosexuelle Männer und Frauen ganz unterschiedliche
Haltungen zum Thema Militarismus, Krieg und Kriegseinssatz sowie
Pazifismus haben. Und dies ist auch in unserem Umfeld so. Doch
was bei uns gedacht und besprochen wird, interessiert dort wohl
niemanden. Die interesseirte Offenheit gegenüber den vielen
bunten Organisationen in der alternativen Szene, die aus der
68er Berwegung gewachsen ist, existiert eigentlich auch nicht
mehr. Da pflegt man gegenseitig seine Vorurteile, um sich erfolreicher
von den anderen abgrenzen zu können. Dies ist die Folge
von Hierarchien.
Wir unterzeichen den Aufruf, auch wenn er uns inhaltlich recht
widersprüchlich erscheint, weil wir wissen, wie schwer es
ist, eine gemeinsame Position zwischen derart vielen und derart
unterschiedlichen Gruppen herzustellen, und alle diese Gruppen
wissen dies ja auch.
Die Lesben- und Schwulenszene hat so viele unterschiedliche Meinungen,
wie es überhaupt Meinungen gibt. Und was die Lesben- und
Schwulenbewegung betrifft, so sehen wir, dass es nur sehr selten
gemeinssame Positionen zwischen all diesen so unterschiedlichen
Gruppierungen gibt. Aber es gibt doch immer noch noch Solidarität
zwischen einigen der Gruppen, Personen und Positionen.
Eine 68er Basis wie wir sie haben, ist wohl heutzutage recht
selten geworden, daher können wir unsere Haltung dazu nur
anbieten, mehr nicht. Wir haben auch keine zu Ende gedachte und
in jeder Situation gut zu vertrene pazifistische Position, wie
dies ein Ghandi offensichtlich in dem Maße hatte, dass
er damit wichtige politische Ziele erreichen konnte. Wahrscheinlich
starb er auch daran.
Und da wir persönliche Freundinnen und Freunde in der Friedensbewegung
haben, die wir seit Jahren gut kennen, verlassen wir uns auf
deren Klugheit, denn sie arbeiten ja an diesem Thema engagiert,
wie wir in der Lesben- und Schwulenbe-wegung engagiert arbeiten.
Und wir können auch nicht in allen politischen Bereichen
derart engagiert tätig sein.
Das Leben scheint wohl dann doch zu kurz zu sein, um sich überall
engagiert einmischen zu können.
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