- 109. Print-Ausgabe, Winter-LUST 2011/2012
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- Lesbisch-schwule Zusammenarbeit
Wenn es darum geht, ehrenamtlich zusammen für das eine oder
andere einzutreten, dann scheint es, besonders unter dem Nachwuchs,
so zu sein, dass sich dort weit mehr Lesben einbringen als Schwule.
Also pauschal kann nman das nicht behaupten, doch ist dies schon
recht ausffällig. Besonders dort, wo Frauen die formelle
oder zumindest die informelle Führung haben, dort scheinen
sich die Männer, besonders die jungen Männer, nach
einiger Zeit von dort zu verkrümeln.
Warum verkrümeln sich die jungen Männer so gerne aus
gemeinsamen Gruppen junger Lesben und Schwulen?
Wenn wir oberflächlich hinsehen, hängt dies mit den
unterschiedlichen Bedürfnissen der Geschlechter in der Gesellschaft
zusammen. Die Jungs werden zusätzlich zu den hehren Zielen
diverser Gruppen auch deshalb in eine Lesben- und Schwulengruppe
getrieben, weil ihre Altersgenossen zumeist schon mit Freundinnen
angeben, während sie noch keinen Freund haben, nach dem
sie suchen wollen, zumindest aber die Gelegenheit haben möchten,
auch einmal sexuelle Kontakte aufzunehmen.
Es ist eben auch die enge Hose, die die Jungs in die Gruppen
bringt. Dort aber finden sie eine Reihe von mehr oder weniger
lesbischen Mädchen vor, die sich außerdem noch in
die Kontaktversuche einmischen.
Auch im Hetenbereich ist dies so. Die Mädels suchen einen
Freund, um mit einem Jungen zusammen ins kino gehen können
oder in die Disco, und allzuoft zahlen sie dann mit sexueller
Hingabe, was vorrangig gar nicht ihr Ziel war. Die Jungs suchen
sich eine Freundin, um endlich Sex haben zu können und zahlen
dafür mit gemeinsamen Ausgehen usw., was vorrangig für
sie gar nicht ihr Ziel war.
Und nun sind die schwulen Jungs in der gemeinsamen Gruppe, langweilen
sich zutode, suchen dort den möglichen Sexpartner, und müssen
sich gerade dort dafür noch rechtfertigen. Das kann ihnen
in einer rein schwulen Gruppe oder einer Gruppe auch mit älteren
Schwulen nicht so einfach passieren.
Überhaupt ist die Interessenslage zwischen den engagierten
Jungs und Mädels in den Jugendcliquen recht unterschiedlich.
Die jungen Männer, die schon ein bisschen Ahnung vom schwulen
Leben haben, sowie auch die älteren Männer, die haben,
wenn sie sich in einer Lesben- und Schwu-lengruppe engagieren,
tatsächlich vorrangig das Engagement zum Ziel, die überall
dabei ständig stattfindenden Kontakte sind dann nur noch
Beiwerk, man kennt das schon.
Zwar versucht die Gesellschaft den Jungs klarzumachen, dass Sex
immer in eine Beziehung gehört, doch die Beziehung ist höchstens
insofern wichtig, dass man von der Ständigen Last der Suche
etwas entlastet wird, nicht aber um sich schon gleich für
längere Zeit auf einen Menschen festzulegen.
Da sind die jungen Mädels doch anders gestrickt. Ihnen geht
es im Coming-out vorrangig um das Erkunden von Beziehungspartnerinnen,
von Cliquen kundiger Freundinnen und die ONS-Aktivitäten
(One-Night-Stands) der Jungs sowie die Sexpartner, die schon
aus Altersgründen nicht als Beziehungspartner zu taugen
scheinen, sind höchstens Gegenstand kritischer Äußerungen
und moralisierender Eingriffe.
Deshalb komme ich zu dem Ergebnis, dass eine Coming-out-Phase
in einer gemischten Jugendgruppe für die Jungs dazu führt,
dass diese ihr Coming-out, besonders das sexuelle Freischwimmen
des Coming-outes dann eher außerhalb der Gruppe stattfindet
und kein Gegenstand der Grup-pengespräche ist.
Die Zeit der Anwesenheit in der gemischten Gruppe konkurriert
mit der nicht genügend vorhandenen Zeit für die Kontaktsuche,
die unbehelligt eher an anderen Orten stattfindet.
Die jungen Mädels hingegen werden ständig durch die
versuchte Sexualisierung der Gruppentreffen seiten der Jungs
von ihren Zielen abgelenkt. Sie kommen mit Vorwürfen und
bleiben dann ohne Jungs bei ihren Interessen.
Da Jungs die Erfahrung machen, das sie in ihren sexuellen Bedürfnissen
kaum von der Mutter verstaden werden, schon bei den ersten Masturbationen
nicht, nich mal beim Duschen, wenn sich eine Erektion bildet,
sind die so genennten Männergespräche in einer Schwulengruppe
für sie befreiender.
Als wir (ROSA LÜSTE) mit der im Mainzer Frauenzentrum tagenden
Lesbengruppe zusammen eine Aktion vorbereiteten, sind nach und
nach alle jungen Gruppenmitgleider weggeblieben. Sie fühlten
sich in dieser Runde immer weniger wohl.
Sie wurden bemuttert, wegen ihrere Ausdruckweise gemaßregelt,
wegen des Tadels für ihre sexuellen Interessen um ihr Gruppenzuhause
gebracht, es gab sogar Tränen deshalb, und die Reaktion
der von ihnen getadelten Mädchen (Ei, da soll er doch ...)
waren wenig feinfühlig, was die Jungs in ihrem Coming-out
in der Schwulengruppe eher gewöhnt waren und auch benötigten.
Eine Frau fand sich dabei gut, wenn sie immer von Schwulitäten
im negativen Zusammenhang redete. Als ein Student sie dafür
kritisierte, weil er als schwuler Mann dadurch verletzt würde,
hatten die gesamten Frauen dafür überhaupt kein Verständnis,
denn verletzt fühlen, das ist schließlich die Rolle
der Frauen und nicht der Männer, die Frauen ja ständig
verletzen.
Dass manche Jungs schwule Vaterfiguren eroticher fanden als Gleichaltrige,
das war ebenfalls Gegenstand heftiger Kritik durch diese jungen
Frauen, sie bekamen allerdigns dabei auch Unterstützung
von manchen schwulen Jugendlichen, nämlich von denen, die
auch an den jungen Schwulen interessiert waren. Dies ist aber
überhaupt ein anderes Thema.
Können denn Lesben und Schwule in einer Gruppe gut zusammenarbeiten?
Selbstverständlich können sie das.
Und
wenn die Gruppenstruktur über mehrere Altersgruppen hinweggeht,
funktioniert dies sogar besonders gut. Dann kann man auch ohne
sich gegenseitig für den jeweiligen Lebensstil zu kritisieren
mit Interesse die unterschiedlichen Lebensweisen und Strukturen
kennenlernen. So ist es eben.
Voraussetzung ist, dass die Mädels mit den Frauen sowie
die Jungs mit den Männern ihre eigenen Abende haben, um
sich darüber zu einigen, was über das Leben, das Coming-out,
die Szene und die gemeinsamen Aktivitäten zu besprechen
ist.
Die Zusammenarbeit von Personen aus der Lesbenbewegung und der
Schwulenbewegung für gemeinsame Projekte ist in einer Art
Kumpelbeziehung oder Kollegenbeziehung sehr gut möglich
und auch sehr sinnvoll, denn in vielen Fragen haben wir gemeinsame
Interessen. Beispielsweise im gemeinsamen Widerstand gegen Diskriminierungen
am Arbeitsplatz, im öffentlichen Leben, im Familienrecht
usw.
Im Stafrecht haben wir in Deutschland ja eine unterschiedliche
Geschichte, weil männliche Homosexualität speziell
mit einer eigenen Gesetzgebung strafrechtlich und daher polizeilich
und gerichtlich verfolgt wurde, und, was wenige wissen, diese
staatliche Verfolgung hörte endlich erst 1994 auf.
Viele Bereiche der Schwulenverfolgung werden nicht zur Sprache
gebracht, weil Männer ja nicht wehleidig sein wollen und
Frauen oft mal zynisch damit umgehen. Was immer nicht berücksichtigt
wird, wenn über die unterschiedliche Behandlung von Lesben
und Schwulen dikutiert wird und behauptet wird, dass Lesben doppelt
verfolgt worden seien und würden, ist z.B. auch der Umstand
der chemischen Kastration an schwulen Männern. Peter Thommen
aus Basel machte mich auf einen Beitrag zu diesem Thema aufmerksam
und schrieb dazu: Das wurde auch bei uns früher
angewendet: chemische Kastration... Soweit mir bekannt ist, war
das nur bei Männern.... Lesben und Schwule werden ANDERS
diskriminiert, nicht doppelt....
Also, zurück zum Thema: Lesben und Schwule haben in vielen
Bereichen gegenüber dem Staat und der Gesellschaft gemeinsame
Interessen, in ihrem jeweiligen Privatleben haben sie völlig
unterschiedliche Interessen, Was mit dem gesellschaftlichen Druck
gegenüben Frauen und dem anderen gesellschaftlichen Druck
gegenüber Männern zu tun hat, mit allen Folgen, die
sich daraus dann für Lesben und Schwule ergeben.
Zu diesem Thema haben wir eine Fülle von Artikel geschrieben,
die Ihr alle im Internet in unserer Homepage www.lust-zeitschrift.de
unter Artikel, dort im Artikel-Archiv nanchlesen könnt.
(js)
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