109. Print-Ausgabe, Winter-LUST 2011/2012
 
Lebensalter und Sexualität
Das „unschuldige Kind“, ist Sexualität denn „Schuld“? Hört ein alter Mensch auf, „sexuell“ zu sein?

Dieses Thema ist wohl, um relativ umfassend zu sein, zu untergliedern. Wie die Überschrift abgefasst ist und den einen oder die andere angesprochen hat, geht es in diesem Thema um die vorherrschenden gesellschaftlichen Sichtweisen zum Thema, die dann natürlich Auswirkungen auf unser Leben haben.
 
1. Die Auswirkungen der vorherrschenden gesellschaftlichen Sichtweisen.
Natürlich hat man mindestens zwei Möglichkeiten, mit gesellschaftlichen Sexual-Normen umzugehen, die von unseren Mitmenschen an uns heradngetragen werden oder die durch staatlichen Eingriff sanktioniert werden.

Die eine Möglichkeit ist die übliche: Man akzeptiert die Normen, wird möglicherweise ein besonders eifriger Verfechter dieser Normen und sublimiert die Neigungen, die man nun mal hat. Sublimation kann durch das Kompensieren der gesellschaftlich geächteten Strebungen geschehen, nämlich indem man sich mit irgendwelchen willkürlichen Gegenständen, Meinungen usw. identifiziert und reagiert z.B. auf Kritik dieser Gegenstände oder Meinungen so, wie wenn sie ihm selber gegolten hätte.
 
Mit der Kompensation schaft sich der Mensch einen gesllschaftlich nicht angegriffenen Weg, seine Sehnsüchte im übertragenen Sinne auszuleben. Solche Versuche zum versteckten Ausleben lösen aber die Grundspannungsprobleme nicht und der betreffende Mensch ist daher ständig in dem Zwang, sich entsprechend entlasten zu müssen.

Die andere Möglichkeit ist, den Konflikt mit der Gesellschaft aufzunehmen, indem man erst einmal die eige-nen inneren Spannungen und Hemmungen überwindet und dann bei der gefährlichen Suche nach anderen Menschen, die diesen Weg gehen wollen, den Konflikt mit den unterschiedlich gearteten GegnerIn-nen und vielleicht den Staatsorganen aufzunehmen.

Dabei kann man verlieren oder in Außenseiterrollen geraten. Lesben und Schwulen braucht dies nicht näher erklärt werden.
 
2. Die Funktionalisierung des Sexualität.
Hinter dem gesellschaftlichen Druck steht die Funktionalisierung der Sexualität. Diese ist religiösen oder gesellschaftspolitischen Ursprungs, was oft das gleiche sein kann. Sexualität soll zum Beispiel nicht der direkten Lusterfüllung dienen, sondern der gesellschaftlichen Reproduktion, zum Beispiel indem sie nur oder überwiegend in solchen Strukturen geschehen soll, indem dann die Nachkommen sozial eingebettet sind und ebenfalls in diesem Sinne erzogen werden sollen. Dies geschieht auch mit der Sexualität, die nicht zur Erzeugung von Nachkommen dienen kann, z.B. die Selbstbefriedigung, um das scheinbar Selbstverständlich nicht zu unterlaufen.

Sexualität soll auch als Belohnung für erbrachte Leistungen dienen, weshalb Frauen in andere ge-schlechtsspezivische Verhaltensrollen erzogen werden als Männer.

So fühlen sich Frauen meist für die Moral zuständig, was immer sie dafür halten, und das nicht nur für das eigene Verhalten, sonder das Verhalten an sich. Während Männer sich von Frauen ganz gerne zu Voll-streckerinnen machen lassen.

Die Sexualität zu manipulieren und funktionalisieren ist für die religiöse, die wirtschaftliche und die staatliche Obrigkeit besonders interessant, weil das Triebhafte immer neu zum Ausbruch kommt und als ständiger Quell so auch als Belohnung von Bedeutung ist.

3. Die altersbezogenen Funktionalisierungen des Menschen.
Jede Altersgruppe hat in der Gesellschaft andere gesellschaftliche Aufgaben zu leisten. Also hat auch die Sexualität je Geschlecht, Ge-schlechtsidentität und eben auch Altersgruppe unterschiedliche Aufgaben zu leisten.

So ist seit Freud bekannt, dass „das Triebhafte“, das er auch das „Es“ nannte, sich nicht auseinandernehmen lässt, sondern dass die Sexualität ebenso wie der Saugetrieb und der Aussscheidungstrieb usw. miteinander zusammenhängen.

Schon Kleinkinder haben insofern einen im allgemeinen Triebhaften eingebetteten Sexualtrieb. In dieser Zeit gerät das „Es“ über die bekannten drei Phasen in Konfrotation mit dem „Über-ich“, also der Gesellschaft, vertreten oft durch die Mutter, und aus diesen Konfrontationen entsteht dann das „Ich“, also das frühe Selbstbewusstsein und das Wissen, dass „ich existiere“.

Die Sexualität und das andere Triebhafte dient der Gesellschaft in der Kindheit dann der Disziplinierung, beispielsweise dass das Kind und sein Körper sich in der Schule an feste Zeitstrukturen gewöhnt und erst in der Pause unbehelligt die Toilette aufsuchen kann usw. Das Kind lernt hier auch, im Wettkampf, im Sport und in Schulhofauseinandersetzungen den Körper anderer Kinder außerhalb von Sexualität zu berühren, zum Beispiel bei Raufereien. Sexualität wird hier vom Kind nicht bewusst wahrgenommen, weil dieses Alter eben der Disziplinierung dient. Dass die Jungens in dieser Phase besonders die körperliche Härte lernen sollen, die Mädchen eher Sensibilität und das Stillsitzen, das scheint im Moment zum Teil in Auflösung zu sein.

In der Pubertät schließlich lässt sich die offene Sexualität nicht mehr gesellschaftlicht zurückdrängen, sie bricht sich sozusagen machtvoll Bahn, in dieser Phase wir sie durch entsprechende Weichenstellung nach Möglichkeit in ganz bestimmte Bahnen gelenkt, nämlich dass aus der altersgleichen Peer-Group die Paare entstehen, die die Gruppen zusammenschrumpfen lassen. Hier haben sie also zu lernen, dass Sexualität in Beziehungen gehört.
Nach der Pubertät wird Sexualität als Belohnung für gesellschaftliche Arbeit funktionalisiert, und zwar für Produktionsarbeit bis hin zur Re-produktionsarbeit, die heutzutage nicht mehr alleine von den Frauen zu bewältigen ist.

Die Aufgabe der Sexualität, zur gesellschaftlichen Reproduktion, als Bindekraft für Partnerschaften und Antribskraft zur Belohnung für Leistungen nützlich zu sein, bleibt so bis ins Alter. Auch für Rentner soll noch genügens Bindekraft für Beziehungen da sein, damit die Kosten für die Altersversorgung von den Alten weitgehend selber aufgebracht werden und nicht den Kommunen usw. zu tragen sind, sofern ein So-zialsystem überhaupt vorhanden ist.
 
4. Sexuelle Praxis
Wie greift die Gesellschaft in die sexuelle Praxis in den verschiednen vLebensabschitten ein und was wird für uns daraus?
 
4.1. Kindersexualität
Kleinkinder wurden früher ganz fest eingewickelt, sie wurden gefesselt bzw. wurden die Hände festgebunden, so dass sie nicht ihren eigenen Körper erkunden konnten.

Die Reinlichkeitserziehung und dass sie selber nicht mehr in die Windeln bzw. ins Höschen machen, sondern „trocken“ bzw. sauber sind, hat nicht nur die Funktion, den betreuenden Personen Arbeit zu ersparen.
Später in der Schule ist es ebenso, eine brutale Disziplinierung geschieht auch durch andere Kinder.
 
4.2. Jugendsexualität
Wenn sich die altersgleichen Gruppen Jugendlicher zunehmend in Paare auflösen, ist es für Lesben und Schwule nicht einfach, nun alleine zurechtzukommen. Und da bei Homosexualität als mögliche Kontaktpartner natürlich nicht jede/r infrage kommt, ist dies ebenso schwierig.

Die lustvolle sexuellen Erprobungsphase soll möglichst schnell in die Ehebindung führen. Und gerade in diesem Alter ist die Imagebildung für junge Menschen sehr wichtig, wobei z.B. Homosexualität besonders imageschädlich ist.

Die Sexualität ist für die Jugendlichen derart dominierend, dass man heute gangbare Wege zur Abreaktion eher zulässt, während man früher mit Sport und religiöser Demagogie Schuldgefühle vor dem Lustvollen erzeugte. Auch heute werden Schuzldgefühle durch die Religionen erzeugt, und um (bei Mädchen) keine Schlampe zu sein, entsprechend auch bei manchen Jungs, sollen sie vermeiden, Sex zu haben, bevor sie in einer wahren Beziehung leben. Eine promiquitive Pahese ist für Jugendliche nicht erwünscht.
 
4.3. Erwachsenensexualität
In cder Arbeitswelt ist der Mensch in der Regel derart eingebunden, dass eine Partnersuche und das Entwickeln einer tragfähigen Beziehung, die auf sexuelle Monogamie aufbaut, im Arbeitsleben schon vorher gegründet sein sollte, wie es die Personalchefs wünschen.

Diese Haltung führt zu einer Benachteiligung von Frauen am Arbeitsplatz, weil man davon ausgeht, dass die 20jährige Kinder bekommt, die 30-jährige mit der Erziehung zu viel zu tun hat, die 40-jährige Frau die Kinder aus dem Haus hat und dann als Frau mit wenig Erfahrung wieder Arbeit sucht. Ihren qualifizierten Platz von früher kann sie nicht mehr einnehmen, weil sich viel verändert hat.

Was die Sexualität betrifft, beginnt ja nach dem 3. Jahr angeblich die Phase, wo die Sexualität durch entsprechenden Artikel und Spiele noch eine Zeitlang interessant gehalten wird, und nach dem 7. Jahr tritt dann die Impotenz ein, sofern nicht andere Lösungen außerhalb der Ehe das Innere der Ehe sexuell erträglich hält, denn der Brisante Sex lässt sich nicht auf Dauer einsperren.
 
4.4. Alterssexualität
In den so genannten Männergesprächen am Arbeitsplatz war ich bis-weilen in einer komplizierten Situation. Die Kollegen wussten zwar, dass ich ein schwuler Mann bin, doch hinderte es sie nicht daran, so zu reden, wie Männer reden, wenn keine Frauen anwesend sind.

Wie sich diese Gespräche durch die Anwesenheit einer dazukommenden Frau ändern, habe ich schon einmal im Artikel „die Männermoral“ beschrieben, hier geht es um anderes.

Ein älterer Kollege beschrieb sehr anschaulich, was er von seiner Frau erwartete, da er nun ja nicht mehr so jung sei wie früher, wo „er“ immer von alleine stand.

Sex sei immer noch gut und befriedigend, aber seine Frau müsse sich vorher schon um sein „Gutes Stück” liebevoll kümmern, damit „er” für sie bereit sei.

Ich selber, etwas jünger als er aber in unserer promisquen Szene in dem Konflikt stehend, der auf ältere schwule Männern zukommt, hatte dieses Problem des heterosexuellen älteren Mannes so nicht im Auge.
Darüber nachdenkend fiel mir ein, dass ein Teil der Probleme der älteren heterosexuellen Männer mit 3 Themen zu tun hat:

1. mit den sexuellen Bedürfnissen der älteren heterosexuellen langjährigen Ehefrauen, die das Hochlutschen des Schwanzes oftmals nicht für so attraktiv halten, wie wir das aus den Berufsbeschreibungen von weiblichen Prostituierten wissen, die gerade in dieser Lustlücke der Ehepaare tätig sind.

2. mit dem Modell der auf Monogamie ausgerichteten Ehe, die auf-grund der langen Dauer auch eine gewissen Müdigkeit aufkommen lässt soweit Sex außerhalb dieser Bindung immer noch als etwas Problematischen erscheint.

3. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass die jugendliche Geilheit, die auf möglichst schnellen und entspannenden Vollzug ausgerichtet ist, im höheren Alter anderen sexuellen körperlichen Bedürfnissen weicht. Dies könnte als „Qualität statt Quantität” definiert werden.

Und die Frage, ob Sex im höheren Alter überhaupt noch stattfindet, brauchen wir uns hier nicht zu stellen, denn das hat sich ja schon überall herumgesprochen, hoffe ich zumindest. Allerdings gibt es eine ganze Menge von Barrieren gerade für ältere Frauen und Männer, Sex im höheren Alter auch noch erleben zu können.

Man findet auch junge schwule Männer, die tatsächlich Interesse an älteren Männern haben, und das nicht nur zum Geldverdienen.

Mit einigen von ihnen hatte ich sexuellen Kontakt und fand, dass diese zwar ältere Männer wollten, also auch mich, aber nicht so recht auf ihre sexuellen Bedürfnisse (meine sexuellen Bedürfnisse) eingehen wollten. Sie wollten jugendgemäß recht schnell zur Sache kommen, waren ungeduldig, wenn meine Erektion nicht schnell genug da war und machten sich hinterher schnell auf, wenn ich ganz gerne noch kuscheln und quatschen wollte.

Was wollte ich? Den schönen jungen Körper länger mit meinen Lippen und meinen Händen genießen, längere und weniger hastige Bemühungen ihrer Lippen zur Herstellung meiner Erektion. Hinterher ein gutes Gespräch bei guter Musik und einem Glas Wein, zum Beispiel. Das können diese heißen wilden jungen Männer wohl nicht nachvollziehen, wie ich ihre sexuelle Vorliebe an dem Körper eines alten Mannes nicht nachvollziehen kann.

Sie müssen sich in der Szene wegen ihrer speziellen Neigung allerhand anhören und werden von vielen älteren Männern, wenn diese ihre Neigung kennen, umschwärmt und umworben, denn sie sind eine Minderheit. Als umschwärmte Minderheit haben sie wenig Anlass, ihr sexuelles Verhalten mehr auf ältere Männer einzustellen.

Sie gehen in der Regel deshalb nicht so sehr auf die Wünsche ihrer älteren Partner ein, weil sie Sexszenen so verstehen, wie sie ihnen gemäß sind. Die wünsche der älteren Partner beziehungsweise bei Lesben der Partnerinnen sehen sie als mögliche Sexvariante und nicht als Folge von Alterssex.

Ein „professioneller” Liebhaber weit jüngerer Partner erklärte mir, dass es ihm darauf ankomme, alle seine „Schwächen” eines älter werdenden Mannes, so gut es möglich ist, zu verbergen. Er ist also scheinbar ein ebenso junger Mann wie der Umworbene, der aussieht wie ein älterer Mann, denn er weiß, dass ein junger Mann, der lieber einen älteren Mann mag, sich in die Realität eines älteren Mannes nicht hineindenken kann. Er war ja noch nie alt.

Grundsätzlich wird in den Medien Sex mit alten Männern als etwas ab-artiges, etwas ekliges dargestellt. Im Alter ist man sozusagen im Ruhestand, und Sex als Belohnung für erbrachte Leistungen macht hier keinen wesenlichen Sinn mehr.
 
5. Sexualität und Schuldgefühle.
Die Funktionalisierung der Sexualität führt dazu, dass selbst beim unbekümmerten Gebrauch immer noch Schuldgefühle auftauchen, die je nach Gesinnung dann gegenüber Gottes Gebote, gegenüber der Moral, der Gesellschaft, der Familie, der Partner empfunden werden.

Dieses Schuldgefühl führt immerhin zur, wie die Sexualwissenschaftler meinen, „befreienden Wirkung des Orgasmus“, vielleicht sagt man lieber „erlösenden Wirkung“. Doch immerhin ist die Gesellschaft unmittelbar nach dem Orgasmus, sofern er wirklich stattgefunden hat, wieder präsent. damit das gute Gefühl schnell wieder abgelöst wird. (js)
 
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