- 109. Print-Ausgabe, Winter-LUST 2011/2012
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- Homosexualität und Zeitgeist
Eine schweizer Sonntagszeitung brachte kürzlich einen Beitrag
über Kleider und ihre Farben. Es war ein ganzseitiges dunkles
Bild mit Menschen in dunklen bis schwarzen Kleidern darin. Ich
erinnere mich an einen Lehrer an der Schule Ende der Sechzigerjahre
- , der eines morgens verzweifelt vor uns Schülern die Hände
verwarf und sich darüber beklagte, dass die Knaben alle
so düster gekleidet seien. Von grau über braun bis
schwarz.
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- Je länger ich mich bewusst umschaue in unserer Stadt,
umso mehr erinnere ich mich an alte Fotografien aus dem Ende
des 19. und dem Anfang des 20. Jh. Die Leute trugen schwarze
Kleider, schwarze Hüte, fuhren in schwarzen Autos umher
wie an einer Dauerbeerdigung
Die neueste Mode diktiert schwarz! Jacken, Mützen und Unterbekleidung
werden schwarz. Ja auch die Com-puterdesigner sind diesem Diktat
gefolgt!
Vor vielen Jahren trugen junge Männer ihre Jeanshosen völlig
verbeult, zerrissen ja aufgerissen an ihren Körpern.
Es war die Ankündigung der allgemeinen Armut durch die Modeindustrie
Schwarze Mode ist ein Zeichen der Verarmung der Sinne, oder ein
Ausdruck der Angst, sie überhaupt zu zeigen
Da täuscht auch der aktuelle Kult um die farbigen Undies
nicht darüber hinweg, den die Jungs nun pflegen. Die Jeans
sind auf die Hälfte des Arsches hinunter gerutscht darunter
soll vorne ein Sixpack und möglichst rundum ein farbiges
Undie hervorlugen
Das erinnert mich an die sechsfarbige Regenbogenfahne der Schwulenbewegung.
Sie hat übrigens fahrlässigerweise die
rosapolitische Farbe einfach unterschlagen. So passt sie auch
besser zum Gaybusiness, der immer mehr betrieben
wird. Ich wurde 1977 von der Schwulenbewegung noch getadelt,
dass ich im schwulen Buchladen mit Homos Geld machen
würde
Was sagen mir geilem altem Sack nun die vielen an
Ärschen hängenden Jeans und Hosen, Was rufen mir die
farbigen Undies zu? Wer daran nicht die Aufforderung zum Ficken
erkennen kann, ist nun wahrlich heterosexuell erblindet. Die
farbigen Sinne rufen darunter hervor: Hier ist Genuss, hier ist
Fröhlichkeit! Auch wenn das den Trägern gar nicht bewusst
ist, die einfach dem Zeitgeist nachlaufen

Ihr regt Euch auf über die negative Verwendung des Wortes
schwul? Seid doch froh darüber, dass es (wieder)
öffentlich verwendet wird! So wie es Männern in unserer
Kultur nur erlaubt ist, einander gewalttätig anzufassen,
so wird auch dieses Wort vergewaltigt unter Männern. Aber
und das ist nicht zu unterschätzen das Wort
ist in der Sprache präsent. Die negative Konnotation (Verwendung)
erlaubt es heute vielen jungen Männern, dieses Wort aus
eigenem Mund wenigstens zu hören und es emotional öffentlich
auszusprechen. Es kann nur noch eine Frage der Zeit sein, bis
es viel unbeschwerter von ihren Lippen kommt und identisch mit
den tief unterdrückten Bedürfnissen wird.
Ich erinnere Euch daran, dass die rosa Farbe/Pink ein Symbol
für Gefühle ist. Zudem ist das auf der Spitze stehende
Dreieck ein Symbol von Weiblichkeit. Die Nationalsozialisten
(Das Wort bitte immer schön ausschreiben und nicht verharmlosend
abkürzen!) wussten, warum sie diese Symbole verwendeten!
Und auch wir Schwulen wissen, warum wir den rosa Winkel
zu einer Flagge des Kampfes gemacht haben. Und wie wir sehen
können, lebt die Masse, von der die Schwule immer geträumt
haben (kommt alle massenhaft! spendet
alle massenhaft in diversen Bewegungsblättern
damals) genau von solchen unterbewussten Signalen und Farben!
Wir sollten achtsamer darauf sein!
Die ganzen faschistisch motivierten Fetische in der Schwu-lenszene
sind das eine Symbol des inneren Kampfes mit diesem Stier. Aber
die Homosexualität sucht sich als Bedürfnis
nicht als Orientierung schon lange den Weg in eine breitere
Masse. Denn die bisherigen kulturellen und politischen Formen
waren nur eine Perversion davon. Am besten sichtbar
im Fussball und da auch am hartnäckigsten bekämpft.
Diese Masse ist noch unfähig, mit diesem ihrem
Männerbedürfnis gesellschaftlich positiv umzugehen.
Denn allzu lange haben viele auch Frauen übrigens
von diesen negativen Konnotationen mitprofitiert. Auch
alle die vesteckten Schwuchteln im Gay-, Kultur- und Sportbusiness.
Die Urklassengesellschaft ist eine der Ficker und der Gefickten.
Nicht der Arbeiter und Kapitalisten! Wer fickt ist auch mächtig
ohne Geld! Und die Jugend ist ebenfalls eine gefickte Klasse,
weil sie den Herrschenden UND Frauschenden sich unterordnen sollte.
Warum sollten sie sich denn heute modisch ihre Schamhaare
abrasieren, wenn nicht aus Minderwertigkeitsgefühlen und
Kastrationsängsten? So ist die Gewalt gegen Frauen, Schwule
und unter Jugendlichen nur ein eigentlicher Klassenkampf, der
die realen gesellschaftlichen Verhältnisse mittels Sexualität
und Sexualsymbolen widerspiegelt. Nirgends wird in den Ge-waltdiskussionen
öffentlich über das Sexualleben der TäterInnen
diskutiert. Nur bei den sogenannten Pädophilen
inter-essanterweise!
Ich bin nun nicht ein Altkommunist, oder gar auf eine Akademie
in Moskau gegangen. Aber die Lektüre von Bornemann und Wilhelm
Reich hilft mir noch immer, sozusagen die Welt von heute zu verstehen.
Wir müssen nicht über Indianer und Migranten
diskutieren. Wir sind alle mitten-drinbetroffen!
Wir hätten heute die Chance, das homosexuelle Bedürfnis,
das ein allgemeines ist, nicht nur bürgerlich mit Homo-Ehe
und Adoptionen zu integrieren. Sondern es auch für
die Allgemeinheit als Teilbedürfnis der gesamten Heterosexualität
vor einer erneuten gewalttätigen Perver-sionierung
politisch und kulturell - zu retten. So dass jeder
daran teilhaben kann, ohne die Schwulen verprügeln
zu müssen > damit es in die Heterrorlandschaft hineinpasst!
Oder ohne dass Tausende von Zuschauern angekarrt werden, damit
sich Männer öffentlich auf einem Rasen abknutschen,
umarmen und küssen können. Und ohne die frustrierten
Jungs in den Rängen, die nicht mehr mit einem sportlichen
Kampf zufrieden sind, sondern den Krieg und die körperliche
Auseinandersetzung suchen, die ja durch den Mannschaftssport
einst ersetzt werden sollte.
Aber die Junghomos und Gays und Queers und wie sie alle heissen,
sind natürlich mit viel wichtigeren Dingen beschäftigt.
Sie haben dann später einfach nichts von so was
gewusst und waren sich keiner gesellschaftlichen Verantwortung
bewusst.
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- Aber im Ernst: Wer wird so was wirklich glaubhaft finden,
nach über 100 Jahren wissenschaftlicher Auseinandersetzung
mit dem homosexuellen Bedürfnis? Frieden bedeutete schon
immer auch: Befriedigung. Wieso wird das immer nur mit Konsum
verwechselt? Und die Rolle der Frau mit der Befriedigung des
Mannes gleichgesetzt?
Peter Thommen 61, Schwulenaktivist, Basel Arcados-Buchladen
seit 1977
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