109. Print-Ausgabe, Winter-LUST 2011/2012
 
Ideen auf der Buchmesse
Wie jedes Jahr sind wir auch in diesem Jahr über die Buchmesse gelaufen, haben mit VerlegerInnen gesprochen, über einige uns interessierende Themen diskutiert und sind auf eine Lesung gegangen.

Unser Hauptthema war, dass wir bei den engagierten Verlagen wenig neue Impulse für den Umgang mit den Zeiterscheinungen vorfanden, eher Rückwärtsgewandtes.

Gut, die Texte von Bakunin, Marx und anderen großen Theoretikern haben ihre Berechtigung. Aber als die 68er Revolte gegen den Vietnamkrieg, den Muff im Bildungswesen und die von den Religionen gesteuerte Sexualstrafrechte sowie die spießige Sexualmoral ihren Durchbruch fand, da pflanzten sich diese Impulse über die Universitäten an die Schulen fort, ergriffen zahlreiche Sozialwissenschaften und Kulturschaffende diese Impulse in den Filmen, Büchern, sogar in den Schlagern diese kritisch nachbohrenden Gedanken.

Eine ganze Generation junger Menschen und auch vieler älterer Menschen fühlten sich durch die 68er Revolte befreiter und bezüglich ihres Lebens und ihrere Lebensform hoffnungsvoller.

Die Utopie einer anderen besseren Gesellschaft und eines andere besseren Lebens ergriff viele Menschen, wenn auch manche in Gegnerschaft zu diesem neuen respektlosen Umgang mit den tradierten Autoritäten.

Damals waren die jungen Menschen bildungshungrig, die gesellschaftspolitischen Bücher wurden den Verlegern sozusagen aus den Händen gerissen, wenn sie auch nur halbwegs auf die Fragestellungen der Zeit eingingen. Auch in der Bettetristik zeigte sich, dass neue Ideen , z.B. im Bereich Scince Fiction und in aufklärenden oder erotischen Romanen Konjungtur hatten.

Viele Liedermacher verließen ihr Exil auf der Burg Waldeck und traten in großen überfüllten Sälen auf, sie wurden an ihren Texten oder ihnen Tabubrüchen gemessen und nicht daran, ob man mit den Liedern auch schön eingelullt wird, und auch in der Filmindustrie entstand Mutiges und Engagiertes.

Es entstanden auch zahllose Raubkopien von alten Büchern, an die man nicht mehr rangekommen war, die überall bei Diskussionen und in der Uni verkauft wurden. Das war nun freilich keine so tolle Methode, belegte aber den Lese- und Bildungshunger der jungen Leute, die das empfinden hatten, dass es auf ihr Wissen in den gesellschaftlichen Entwicklungen und ihrem eigenen Leben zumindest für sie entscheidend ankam.

Heute findet man überall Krimis in der Belletristik, egal ob in den leinken Verlagen oder den Verlagen der Lesben- und Schwulenliteratur. Und dort in den Krimis wird nicht die gesellschaftiche Ordnung hinterfragt, geht es ja zumeist nicht gerade um neue kreative Gedanken, sondern im Gegenteil eher darum, im Auftrag des Staates die bestehende Ordnung zu verteidigen. Belegt der Erfolg von Krimis, dass ein Interesse an neuen gesellschaftlichen Zuständen nicht vorhanden ist?

Also gingen wir in diesem Jahr zur Buchmesse 2011 von Verlag zu Verlag und hörten mal, was die engagierten Verleger dazu meinen, zu einem neuen Aufbruch und neuen Impulsen, die sich so wie damals ausbreiten sollen, weil die ja eine ganze Generation ergriffen hatten.

Zuerst fragten wir nach, warum so viele sozialistische Verlage nur noch in Leipzig auf die Buchmesse gehen würden, und erfuhren von eher anarchistischen Verlagen, dass es im Umfeld von Frankfurt eine große Infastruktur gebe, die es den kleinen Verlagen überhaupt erst mögliche, zur Buchmesse zu kommen, und dass diese in Leipzig fehlen würde. Möglicherweise sei dies für sozialistische Verlage, die nicht mehr auf der Buchmesse auftauchten, in Leipzig gegeben und hier in Frankfurt nicht so sehr.

Uns interessierte nun aber, warum an Emanzipatorischem kein größeres Interesse vorzuliegen scheint. Gibt es denn keine kritische gesellschaftspolitische Diskussion mehr? Sind denn alle mit allem zufrieden oder sind alle entmutigt?

Beim Quer-Verlag hörte der Jim Baker aufmerksam zu und meinte, dass es doch sein könnte, dass durchaus schon etwas in Bewegung sei, dass wir Alten 68er das nur nicht mitbekommen würden, weil es sich über andere Medien äußere, nicht wie damals bei uns in Büchern und Pamphleten, sondern etwa im Internet über Foren.

Jim kommt ja aus Berlin wie übrigens der Jan Nurja vom der Edition Salzgeber, der dazu kam, ebenfalls interessiert zuhörte und auch meinte, dass im Internet durchaus schon recht viel los sei. Ich sprach ihn gleich auf die Piraten an und er meinte, das es bei nahezu 10% WählerInnen unmöglich sei, in einer beliebigen Gesprächsrunde in Berlin auf keinen dieser Wähler zu treffen. Man finde überall deren Wähler, die aber ganz unterschiedliche Motive hätten.

Welche politische Richtung die denn hätten, fragte ich ihn, er könne dies nicht sagen, meinte er. Und die Diskussionen im Internet, ob dort gute Beiträge formuliert würden oder ob der Protest eher pubertär sei. Ja, eher pubertär, bestätigte Jan.
 
Ich fragte mich ob diese diffuse und dennoch recht hohe Wahlbeteiligung ein Beleg daür sein könnte, dass sich in dieser Partei eine neue Bewegung formiert, die von zukunftsträchtiger Bedeutung sein könnte. Die anderen Parlamentsparteien nehmen sie als Konkurrenten durchaus zur Kenntnis. Ich sagte, dass das Früher anders war. Erst ist die Idee da mit der Bewegung, und erst wenn die Bewegung selber nachlässt, gründen sich die Vereine und vielleicht Parteien.

Dort bei den Piraten ist offensichtlich erst die Partei da und dann vielleicht die eine oder andere Idee? Was die Piraten betrifft, so konnte ich nirgendwo hören, dass man inhaltlich auf sie setzen könne, weil deren Inhalte nicht greifbar seinen. Ist die eher pubertär oder Absicht? Die Medien tun ja so, als ob die Piraten links wären, vielleicht aber nur, um der Linken die Proteststimmen zu nehmen?

Und ob die eher links oder recht seien, das erklärte mir der Wieheißtderdochgleich von einem kleinen anarchistischen Verlag (Wir geben uns in jedem Jahr auf der Buchmesse ein Brüßungsküsschen), dass bekanntermaßen in Frankfurt viele NPD-Leute in den Piraten seien, die dies auch offen sagen und diese Haltung vertreten würden, während in Fulda Leute drin wären, die bei Gründung der Linken dort keine politische Heimat gefunden hätten.

In der Zeitung Jungle World Nr. 41, 13.10.2011 auf S. 17, die bei der Buchmesse verteilt wurde, fanden wir folgendes Zitat von Sebastian Nerz, Bundesvorsitzender der Pratenpartei: „Nicht jedes NPD-Mitglied ist ein Neonazi".

Als wir später zuhause waren, suchten wir im Internet nach dem Bundesvorsitzenden der Piraten und fanden bei Wikipedia Folgendes:
Sebastian Matthias Nerz (geb. 13. Juli 1983 in Reutlingen) ist Bundesvorsitzender der Piratenpartei Deutschland. Nerz war von 2001 bis 2004 aktives Mitglied der CDU im Ortsverband Tübingen und kandidierte zuletzt an 42. Stelle der Parteiliste erfolglos bei den Tübinger Gemeinderatswahlen 2004.
Nachdem er im Bundestagswahljahr 2009 in die Piratenpartei eingetreten war, fungierte er dort ab November des gleichen Jahres als Beisitzer im neu gegründeten Bezirksverband Tübingen sowie als Koordinator der Arbeitsgemeinschaft Landespolitik im Landesverband Baden-Württemberg, von April 2010 bis Mai 2011 dann als dessen Vorsitzender. Im Mai 2011 wurde er auf dem Bundesparteitag zum Bundesvorsitzenden gewählt.

Kann man daraus etwas über die Parteipiraten schließen?

Bei Claudia Gehrke bemerkte ich, dass sie mitschrieb, als ich ihr von meinen Gesprächen an den Ständen der verschiedenen Verlagen berichtete. Sie fand diese die Diskussion hochinteressant und bat mich, ihr doch zu berichten, was die anderen Leute so meinten, per E-Mail zum Beispiel.

Beim Neuen Deutschland mischte sich sofort ein Mann ein, den ich noch nicht kannte, und der sagte, die neuen Ideen hätten sie bereits, ich müsse nur fleißg und ständig das Neue Deutschland lesen. Aha.

Bei der Jungen Welt wollte mich einer von der taz abbringen, die ich seit Gründung abonniere. Als ich ihm sagte, dass ich mich oft über sie ärgere und dann wieder mal in ihr wiederfinde meinte er, das sage ein verheirateter Mann nach 60 Jahre Ehe auch über seine Frau. Da könnte schon was dran sein.

Der Andreas vom Merlin-Verlag, der sich jedes Jahr die Zeit nimmt, trotz großer Arbeit ein Gespräch zu führen, fand diese Gedanken auch interessant, meinte zu den Piraten, dass er die nicht leiden könne, weil die den Schutz der Urheberrechte abschaffen wollten, und das würden ja die Journalisten, die Zeichner, Fotografen und Grafiker, die Autoren und Verleger um ihren Beruf bringen und sie ruinieren. So sind wir hier etwas vom Thema abgekommen.

Dann traf ich den Gunnar vom Alibri-Verlag. Der hörte sich den Werdegang meiner Gespräche bei den verschiedenen Verlagen an und meinte dann, dass er dies ebenso sehe wie ich und er mir völlig zustimme.

In Bezug aufs Internet meinte er, da würden in den Foren auch Leute einfach aus Spaß irgendwas dazwischenschreiben, sodass man eine gute Debatte nicht führen könne. Jedoch es stimme, um als engagierte Leute gegenwärtig wieder erfolgreicher zu sein, bräuchten wir eine neue Utopie.

Mit diesen Gedanken ging ich zur Karin vom Karin Kramer Verlag. Die hörte interessiert zu und meinte, sie hätte schon eine Utopie, die ihr reiche und nach der sie lebe. Aber wenn ich meine, wir bräuchten eine, solle ich mich doch dranmachen und eine entwickeln.

Ich erwiderte, dass ich nicht genug wisse, um aus allen Fehlern, die durch Anarchisten, Marxisten und anderen hoffnungsvollen Engagierten Leuten gemacht wurden, die richtigen Schlüsse ziehen zu können, wenn ich versuchen würde, eine neue gute Utopie anzudenken. Und außerdem, da reicht ein Kopf nicht aus, denn dazu benötigt man wohl viele Köpfe.

Als ich dann aber bei anderen Verlagen war, ich ihnen von den Gesprächen erzählte, und dann an die Stelle mit einer neuen tragfähigen Ideologie kam, hörte ich immer wieder, dass ich selber eine entwickeln solle. Ich war also an das Ende dieser Gespräche gekommen.

Und aus dieser abwehrenden Haltung schließe ich, dass sie nicht an einer neuen besseren Utopie interessiert sind, die in der Lage ist, den Menschen auch wieder Mut zu machen und ihnen Hoffnung geben kann, sodass eine Beteiligung Spaß macht. Ihr wollt also nicht mitdenken? So wird das aber nix, Freunde.

Ach ja, und während wir uns auf der Buchmesse um solche tiefschürfende Gedanken bemühten, bekamen wir am Rande mit, dass in Frankfurt eine große Demonstration gegen die Banken lief. Es tut sich wohl was, und das offensichtlich ohne neue Utopie. (js)
 
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