108. Print-Ausgabe, Herbst-LUST 2011
 
Der deutsche Papst war in Deutschland
Sehr erhellend für die Zustände in unserem Land ist Berichterstattung der Medien, die kein Verständnis für die unterschiedlichen Formen des Protestes formulierten und das bewusste Überschreiten der Grenze zwischen Staat und Religion nicht als den eigentlichen Grund für die Proteste benannten.
 
Wenn Du zufällig mal das Theaterstück Galileo Galilei von Brecht zu sehen bekommst (ich weiß, solche Stücke sind gerade nicht in Mode), da wird ein liberaler Mann und Wissenschaftler Papst, doch gerade er gibt die Anweisung, Galileo durch die Inquisition mit Folter zu bedrohen, falls er nicht widerruft, obwohl oder gerade weil er genau weiß, dass Galileo recht hat.

Galileo fürchtet sich vor der Folter und widerruft, lebt noch 9 Jahre als Gefangener der Kirche bis zu seinem Tode und die Macht der Kirche ist erst einmal wieder gesichert.

Wie nun, wenn der Chef der Inquisition, neuerdings heißt sie „Glaubenskongregation“, zum Papst gewählt wird und kein liberaler Wissenschaftler. Wenn dieser gerade in Südamerika die Kirche recht erfolgreich auf Linie bringt, also zurück ins Mittelalter, und wenn er damit tatsächlich die Evangelikalen dort zurückdrängen kann und die Kirche wieder stärker und bedeutender machen kann, wenn dies also alles geschieht, würde denn dann ein klardenkender Mensch annehmen, dass dieser Papst, der jetzige, der deutsche Papst, wenn er nach Deutschland kommt, hier besonders liberal auftritt, obwohl er schon immer alles andere als liberal war?

Naja, die Leute in Deutschland, die ihn eingeladen hatten, sind eben Gläubige, und man kann entweder zweifeln oder aber irgendwie glauben. In Brechts Theaterstück stehen der Zweifel als Prinzip des wissenschaftlichen Denkens und der Glauben als Prinzip des religiösen Den-kens, das Unterwerfen unter die Obrigkeit, unversöhnlich gegenüber.

Als das Flugzeug von Allitalia auf dem Flughafen in Berlin landete, wurde das Oberhaupt der katholischen Kirche als Staatsbesuch vom Bundespräsidenten und der Kanz-lerin empfangen. Er wurde als Staatsmann empfangen, doch der Papst selber erklärte, dass dies kein Staatsbesuch sei, er käme nicht als Oberhaupt eines Staates nach Deutschland. Dies war eine Ohrfeige für die Katholiken, die seinen Auftritt vor dem Bundestag damit rechtfertigen wollten, dass der Papst ja Staatsoberhaupt des Vatikans sei. Anders interpretiert, der Papst wollte die Vertreter dieser Rechtfertigung in dieses Dilemma bringen, denn er ist nicht an der Trennung zwischen Kirche und Staat interessiert. Wie die Verkünder aller Religionen sieht er den Staat als seinen Untergebenen an, der entweder gehorsam ist oder eben des Teufels, wenn nicht.

Er ermahnte die Abgeordneten in seiner Rede, moralische Verantwortung für die Schöpfung, den Frieden und mehr Gerechtigkeit in der Welt zu übernehmen. Und schon mühten sich die Schönfärber in den Medien zu erklären, dass die Abgeordneten, die nicht zuhören wollten, deshalb im Unrecht seien, weil sie etwas versäumt hätten. Seine Rede sei doch nicht einmal schlimm gewesen.

Aber warum sind sie weggeblieben? Doch nicht weil sie dies nicht ausgehalten hätten, sondern um dagegen zu protestieren, dass hier Staat und Kirche zusammengeführt statt getrennt werden.
Die DemonstantInnen in Berlin, die mit dem Motto „Keine Macht den Dogmen“ ihre Kundgebung und ihren Umzug und dann wieder eine Kundgebung durchführten, wurden ebenfalls in den Medien verspottet, schon vorher, weil sie demonstrieren wollten und dann, dass sie demostriert hatten und dann, dass sie nicht genügend demonstriert hätten, da es zu wenige Demonstranten gewesen seien.

Die Demonstration wurde von den Organisatoren des Berliner CSD organisiert, die schon wussten, wie man eine lustige Demonstration durchführt.

Und als der Papst dann im evangelischen Kloster war, frohlockte wieder die Presse, um dann enttäuscht festzustellen, dass er keine Zugeständnisse gegenüber der Ökumene gemacht habe.
 
Wen wunderts?
Die Kritik der Medien an den Demonstranten und an den Bundestagsabgeordneten, die den Bundestag nicht aufgesucht oder verlassen hatten, zeigt, wie „unabhängig“ unsere Medien in Wirklichkeit sind.

Unabhängig davon, ob dieser Papst eher liberal oder eher konservativ ist, uns Lesben und Schwulen kann es dann besser gehen, wenn die Religionen die private Angelegenheit ihrer Gläubigen sind und keinen Einfluss auf die staatlichen Entscheidungen haben. Und genau deshalb versuchen sie den Zugriff immer wieder. (RoLü)
 
Papstbesuch
Dass irgendein Religionsführer durch Deutschland reist, stört niemanden. Dass er aber auf Staatsbesuch ist und im Bundestag redet, gibt dem Besuch eine hohe Aufmerksamkeit.
Text, den wir am 22.09.11 auf die LUST- Nachrichteseite ins Internet gestellt haben.

RoLü: Ist der Papst bei seinem Deutschlandbesuch das Oberhaupt des Staates „Vatikanstadt“ und kann deshalb auf Einladung im Bundestag reden, wie dies derzeit viele Kirchenvertreter in den Medien behaupten, oder ist er als Oberhaupt der Katholiken unter-wegs und ist daher seine Rede eine religiöse Verkündung? Dann ist dies eine bewusste politische Handlung, die eindeutig gegen die Trennung zwischen Staat und Religion gerichtet ist.

„Lass ihn doch mal reden, mal sehen, was er zu sagen hat", ist eine dümmliche Rechtfertigung, denn was er zu sagen hat, ist hinlänglich bekannt.

Der Vatikan hat vor der UNO erklärt, dass die Verfolgung von Homosexuellen das Recht jedes Staates bleiben soll und keine Verletzung der Menschenrechte sei, im Gegenteil sei es eine Verletzung der Menschenrechte, wenn ein Staat Homosexuelle aufgrund seiner Gesetze ect. nicht verfolgen könne.

Ist er Staatsgast und Vertreter seines Staates, dann ist er politisch zu kritisieren, wie man dies von unseren führenden Politikern auch bei anderen Staaten erwartet, die die Menschenrechte nicht achten, die aber auch nicht immer gleich zum Reden in den Bundestag eingeladen werden.
Ist er Religionsverkünder, dann ist dies eine Brüskierung der deutschen Bevölkerung, die zu 70% nicht katholisch bzw. nicht religiös ist.

Wenn die katholische Kirche und die sie unterstützenden Politiker es für taktisch geschickt halten, diese beiden Funktionen des Papstes ständig verschleiernd miteinander zu verknüpfen, dann müssen sie allerdings damit leben, dass die Papstkritiker dies ebenfall miteinander verknüpfen.
Ganz eindeutig: Wir wollen nicht, dass die Papstauffassung zur Frage der Gleichstellung der Geschlechter und zur Homosexualität im Bundestag irgendeine Bedeutung hat.

Ihr könnt Euch auch an unserem Aufruf zur Trennung zwischen Religion und Staat beteiligen (Siehe Kasten in diesem Artikel unten links!).

In den Medien wird immer wieder gesagt, man sei intolerant, wenn man gegen den Papst ddemonstriere oder seine Rede im Bundestag nicht hören wolle. So sagte der Bundesinnenminister in einem Interview zu Phönix,: „Dass Parlamentarier gegen einen Papst, der für eine Religion steht, die Menschen zusammenführt, in dieser Art kleinkariert demonstrieren, finde ich unangemessen."

Diee Religion führt aber nicht Menschen zusammen, zumindest nicht homosexuelle Menschen, und das ist auch der Grund, warum sich ca. 70 Organisationen zum Protest und zur Demonstration zusammengeschlossen haben.

Es ist schon erstanlich, dass der Minister, der die Verfassung schützen soll, derartiges von sich gibt, denn er hat ja auf seinem Posten nicht die kritikwürdigen menschenrechtsver-letzenden Machenschaften der katholischen Kirche zu schützen, selbst wenn er selber von einer Partei kommt, die das „C“ im Namen trägt.

Offensichtlich gefällt es diesen Politikern, nicht nur die Rechte homosexueller Menschen zu ignorieren, sondern auch die so wichtige Trennung zwischen Staat und Religion einfach zu übergehen statt zu verteidigen und zu schützen. RoLü

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