107. Print-Ausgabe, Sommer-LUST 2011
 
Das Religiöse und die Lust
Kirchen sind in Bedrängnis gekommen, doch religiöse Bewegungen bemühen sich verstärkter um staatliche Einflussnahme
 
Die Zeiten schienen schon vorbei zu sein, wo die Geburt in eine Familie darüber bestimmt, welcher Religion das Neugeborene angehört. Eine Zeitlang wählten die Leute selber aus, was sie glauben konnten und wollten.

DieTaufe der Säuglinge sichert auch heute noch, an welche der beiden größeren christlichen Organisationen später einmal die Kirchensteuer abzuführen ist. Dies läst sich zählen, denn nahezu je 30% der Bevölkerung zahlen Kirchensteuer an eine der beiden großen Kirchen. Dann gibt es noch unklare Zahlen über Menschen, die jüdischen, muslimischen, hinduistischen oder budhistischen Glaubens sind, es mögen vielleicht zusammen 10% sein.

Aber ob und was die Leute heutzutage wirklich glauben, kann man natürlich nicht sagen. Was die Christen betrifft, so ist dies ein für sie individuell ausgestattetes Patchwork, das den Sehnsüchten und Wünschen entspricht, agereichert mit Ritualen und Traditionen. Ca. 30% sagen, dass sie nicht glauben.

Menschen, die älter werden, werden sich zunehmend bewusst, besonders beim Eintreten des zunehmenden körperlichen Verfalls, dass das Sterben in greifbare bzw. begreifbare Nähe rückt. Dies zu überleben und noch eine Zukunft haben zu wollen, ist nur durch Galuben an ein Danach möglich. So ist das eben mit den Säugetieren, dass ihre Zellen und so ihr Körper sich ständig erneuern, alle ca. 25 Jahre sind wir vollkommen erneuert, was mit zunehmenden Alter nachläst, zumal die Matritzen der Erneuerung auch blasser werden.

Dies ist ein Trauma für Menschen, denn gerade dann, wenn sie etwas zur Ruhe kommen, nicht mehr gehetzt von Erwerbsarbeit, dem Karrierestreben und der sexuellen Partnersuche, wenn sie über das Leben nachdenken, oft rückwärts denken, dann soll es bald schluss sein, was uns den Weg verwhrt, auch noch vorwärts zu denken.
 
Da träumt man doch vielleicht noch von einer Wiederholung, Verlängerung oder etwas ähnliches. Wer alt ist, erkennt, dass das Leben worklich sehr sehr kurz ist. Wer noch jung ist, glaubt an ein langes Leben und möchte an das Alter nicht denken, eine Erklärung dafür, dass die Alten nicht interessieren.

Und genau in einer solchen Situation öffnen sich viele Leute wieder stärker den außerhalb der Naturgesetze stehenden Verheißungen auf ein weiteres Leben, zumindest des Bewusstseins, denn den körperlichen Verfall kann man ja sehen.

„Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben“ sagen Katholiken wie Protestanten in ihrem Glaubensbekenntnis. Dass ein solches Glaubensbekenntnis dann, wenn das Fleisch aufersteht, auch das Auferstehen der sexuellen Lust beinhaltet, wird heutzutage nicht mehr so genau gesehen, denn wie soll ein Geistwesen eigentlich zwischenmenschlichen Sex ausüben oder masturbieren? Sex ist eindeutig körperlich und fleischlich.

Wahrscheinlich in den 60er oder 70er jahren wurde das Glaubensbekenntnis insoweit geändert, dass statt „des Fleisches“ dann „der Toten“ darin steht. Da gibt es dann kein Misverständnis mehr, das kann man so oder so verstehen.

Der folgende freche Spruch aus der 68er Schwulenszene macht vielleicht deutlich, worauf heutzutage manche religiösen Patchwork-Vorstellungen basieren: „Ich habe Dich im Stehn gefickt, im Sitzen und im Liegen, und wenn wir beiden Engel sind, fick ich Dich im Fliegen“.

Die im Leben vielleicht erlebbare körperliche Lust, wird von religiösen Gemeinschaften reglementiert bziehungseise in solche Bahnen gelenkt, dass die Religionsgemeinschaften von der Sehnsucht nach rfüllung der körperlichen Lust einen großen Teil ihrer Macht über den Menschen gewinnen.

Während die Heterosexualität nicht vollkommen verteufelt werden kann, damit die Kirche Nachwuchs erhält, ist eine körperliche Lust, die erlebt wird, weil man der Lust nachgibt, eine Sünde. Dies besonders, wenn man nicht verheiratet ist und das homosexuelle Paare keine Kinder machen, zumindest meistens nicht, stellt man sich auch gegen das Recht der Homosexuellen, zu heiraten.

Natürlich konnte man den Homosexuellen nie verwehren, z heiraten, aber man konnte ihnen verwehren, die oder den Geliebten zu heiraten. Und dies ist ja in so manchen Ländern sogar den heterosexuellen Paaren verwehrt.

Die religiösen Organisationen sind gegen das folgenlose Erleben der körperliche Lust, und so wird aus einer lustvollen körperlichen Sache eine problematische Sache, für die man dann noch in der Kirche Buße tun muss und um Erlösung für die begangene Sünde bitten muss. Denn nur die Kirche, besonders die katholische Kirche kann die Absolution erteilen, die Erlösung und Befreiung von der begangenen Sünde.
 
Früher konnte man dies noch durch größere Geldzahlungen erreichen, nicht nur für sich, sondern auch für andere, und auch für Sünden, die man vorhatte, zu begehen.
So wurde der Petersdom in Rom finanziert, der noch heute der Mittelpunkt des Katholizismus ist, und genau dieses Ablasshandel war der Grund der Kirchenspaltung. Daher finden wir diese Rhituale in der evangelischen Kirche so nicht vor.

Nun ist ja die körperliche Lust an und für sich für Säugetiere, zu denen der Mensch als eine der Affenarten auch gehört, nicht nur nichts abartiges, unnatürliches usw. Und auch Homosexualität findet überall im Tierreich statt, also auch von dieser Seite her kann man nicht behaupten, das homosexuelle Lust etwas Unnatürliches ist.

Manche evangelischen Kirchen segnen auch schon homosexuelle Paare, was innerhalb dieser christlchen Ausrichtung zu Auseinandersetzungen führt. Man könnte sich also fragen, woher diese eifernde Verbissenheit nicht nur der christlichen Religionen, hier aber besonders, gegen die lustvoll ausgelebte sexuelle Lust stammt.

Im Koran wird beschrieben, wie es im Paradies sein wird. Und in dieser Beschreibung wird sogar mit der männlichen Lust auf Jünglinge kokettiert. So lesen wir über die Belohnungen im Paradies ab der Sure 52, Vers 23: “Dort geben wir ihnen was sie wünschen: Obst und Fleisch im Überfluss. Sie reichen dort einander den Becher, in welchem weder Anreiz zu leichtfertigem Wort noch zur Sünde ist. Ein Kreis von Jünglingen eigenen Blutes, so schön wie Perlen, in ihren Muscheln verborgen, wird ihnen aufwarten.“

Auch anderes gibt es im Jenseits, Sure 56, Vers 16 bis 18: “Sie werden auf Kissen ruhen, welche mit Gold und edlen Steinen geschmückt sind, sie lehnen einander gegenüber. Jünglinge in ewiger Jugendblüte werden, um ihnen aufzuwarten, sie mit Bechern, Kelchen und Schalen voll fließenden Weines umkreisen, der den Kopf nicht schmerzen und den Verstand nicht trüben wird, und mit Früchten, von welchen sie nur wählen, und mit Fleisch und Geflügel, wie sie es nur wünschen können.“

Im Christentum gibt es dier herzzerreißende Liebesgeschichte zwischen David und Jonathan, dem Sohn von König Saul, die sich liebten und küssten, und der König Saul wurde auf David eifersüchtig.

Was Sünde ist, schein jeweils die weltliche Obrigkeit im Einklang mit der vorherrschenden Staatsreligion zu definieren, denn bei der Religion kommt es ja auf die jeweils zeitgemäße Auslegung an. Und die Belohnung für die vielen Entsagungen bekommt der/die Gläubige im Christentum und im Islam wie im Judentum nach dem Tode. Sehr praktisch für die weltlichen Obrigkeiten.

Aber auch in anderen kulturkreisen gibt es diesen zusammenhang. „Ein armer Tibeter hatte wenig Veranlassung seinen Gutsherren zu beneiden oder anzufeinden, denn er wusste, dass jeder die Saat aus seinem früheren Leben erntet. Wir waren schlicht und einfach glücklich”, sagte Tenzin Gyatso, auch als der 14. Dalai Lama bekannt, „Verteidiger der Wahrheit” und „Ozean der Weisheit”, in einem Interview, 20 Jahre nach seiner Flucht aus Lhasa, in dem ihm die Zustände in Tibet unter seiner Regentschaft vorgehalten wurden: Leibeigenschaft und Sklaverei. Zitiert nach der Panorama-Sendung vom 20.11.1997 Der Ttel Dalai Lama wurde ihm vom chinesischen kiser verliehen, weil er in dessen Auftrag das Land Tibet verwaltete und den Priester-Patron-Vertrag abgeschlossen hatte: Der Priester war der Berater des Patrons (Kaisers) und der Patron der Beschützer des Priesters (Dalai Lhama).

Fast alle Erungenschaften, die der Bevölkerung größere Freiheit versprachen, wudern hart gegenüber den vorherrschenden Religionen ertrotzt. So die Trennung zwischen staatlicher und religiöser Obrigkeit.

Die Trennung zwischen religiöser Dogmatik und naturwissenschaftlicher Forschung und Lehre. Die Errichtung von demokratischen Strukturen oder Staaten zum Nachteil der Herrschaft adliger Familien. Die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung der Frau, wobei die gesellschaftliche Gleichstellung noch nicht erreicht ist.

Obwohl die genannten Bereiche noch nicht vollständig und in anderen Ländern oft noch überhaupt nicht erreicht sind, fehlt noch die vollständige Befreiung der körperlichen Lust von der demütigenden Verteufelung des Rechtes eines Menschen über seinen Körper durch die religiöse und weltliche Obrigkeit.

Das Leben eines Menschen ist kurz, die Möglichkeiten der lustvollen sexuellen Erfüllungen als der wesentlichen der Erfüllungen sind begrenzt. Und diese sollte man sich nicht auch noch durch Schuldgefühle vermiesen lassen, die sollte man lustvoll erleben. Denn nach dem Tode ist körperlich gar nichts mehr, und geistig, nun, das erkennen wir an der Altersdemenz, dem Verfall des geistigen Vermögens schon vor dem körperlichen Sterben. Das Gehirn ist eben auch ein Körperteil, also körperlich. (js)
 
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