- 107. Print-Ausgabe, Sommer-LUST 2011
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- Lust auf Nacktheit
Unbekümmerte Freiheit, Produktwerbung, Mittel zur Beziehungsfunktionalisierung,
Sexverlockung, Natürlichkeit und Scham.
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- Der natürliche Zustand eines Menschen
ist es, seine Körper mit unterschiedlichen Materialien zu
verhüllen. Für das behängen mit dieser Verhüllung
wird viel Zeit und vor allem auch Geld aufgewendet, offensichtlich
ist es nicht gleich, was ein Mensch zum Verhüllen benutzt.
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- Diese Verhüllung, Kleidung genannt,
macht es möglich, den Menschen nach Geschlecht, Rang und
Alter zu unterscheiden, was ohne diese Bekleidung wahrscheinliche
kaum noch möglich ist.
Über diese Bekleidung wäre recht viel zu sagen, doch
heute und in diesem Artikel geht es um den Menschen, der nicht
bekleidet ist.
Da in Wirklichkeit jedoch dies, die Nacktheit, der natürliche
Zustand eines Menschen und aller anderen Tiere ist, muss man
sich darüber wundern, warum um den Zustand der Nacktheit
ein derart großes Aufsehen gemacht wird. Es wird nämlich
behauptet, der Mensch besäße eine natürliche
Scham.
Und mit Scham wird ja gleichzeitig die weibliche
Geschlechtsöffnung benannt, weil sich Frauen dafür
besonders schämen sollen? Zieh dich aus, kleine Maus,
mach dich nackisch ... singen die Fastnachtsfreunde angetrunken.
Ob sie vielleicht auch beispielsweise singen würden: Lass
ihn stehn, schöner Mann und lass ihn sehn ..., oder
ähnlich? Das geht natürlich nicht, denn sie sind ja
keine Schwuchteln.
Also, Menschen müssen sich (und tun es dann ja auch) als
einzige Art von allen Tieren davor schämen, öffentlich
als sexuelles Wesen angesehen zu werden. Und Nacktheit hat daher
im wesentlichen keine andere Funktion, als eine sexuelle Faszination
auszuüben. Sie ist demnach gar nicht unbefangen, weil das
Sexuelle befangen ist.
Es gibt auch so genannte Naturvölker unter den
Menschen, die mehr oder weniger zivilisiert wurden,
die also daran gewöhnt wurden, sich mit Textilien zu behängen.
Anfänglich sollen sie gar nicht verstanden haben, was sie
bedecken sollten, und hätten daher oftmals die falschen
Körperstellen zugedeckt.
Dennoch scheint es so zu sein, dass sich Menschen ganz gerne
andere Menschen in Nacktheit ansehen. Und wenn das schambar ist,
warum schämen sie sich denn dann nicht selber, wenn sie
das sehen wollen? Stattdessen malen und fotografieren sie dies,
machen Skulpturen davon und stehen seit Jahrhunderten oder länger
andächtig davor.
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- Warum denn dieser Umweg, man könnte
sich dann doch gleich seinen Nachbar oder die Nachbarin nackt
ansehen, bei Gegenseitigkeit natürlich, damit beide bzw.
alle was davon haben, die es sehen wollen. Und die anderen sollen
dann doch einfach weggucken, wenn sie es nicht sehen. Aber vielleicht
wollen die Künstler ein Exclusivrecht an Nacktheit haben,
damit sie damit schön Geld verdienen können?
Nacktheit sei unbekümmerte Freiheit, und ein Schuft ist,
der schlechtes dabei denkt, das sagen die, die sich in Freikörperkulturvereinen
zusammen finden, und die in Abgegrenzten Gebieten und hinter
hohen Sichtblenden ohne Kleidung rumlaufen können, und während
dieser Zeit keine sexuelle Erregung erkennen lassen, was für
Männer nicht immer so einfach ist. Und wenn schon, eine
sexuelle Erregung vergeht auch nach einiger Zeit wieder. Da ist
doch nichts dabei, das ist doch auch irgendwie ganz natürlich,
oder?
Und wem dies stört, der muss seinen Blick auch nicht gerade
dahin focussieren.
Also scheint doch auch viel Verlogenes bei der unbekümmerten
Nacktheit zu sein, ob es in einem Naturfreundecamp geschieht
oder auf einem Kunstwerk.
Es scheint aber so zu sein, dass gerade bei der Werbung das Bild
mit dem angezogenen Körper auf die wenigen Stellen von Nacktheit
focussiert werden, damit die Werbung kommuniziert
und der Zweck erfüllt wird. Der Zweck? Dass man vielleicht
erregt wird? Nein, wer so etwas denkt, ist ein Schwein. Damit
der Betreffende, der nicht erregt wird, etwas kauft, zum Beispiel.
Nun ist es aber auch so, dass unsere Mitmenschen beim Kauf von
Kleidungsstücken solche Kleider auswählen, bei denen
einige Körperstellen besonders hervorgehoben werden. Ganz
besonders deutlich ist dies beim weiblichen Oberkörper zu
sehen. Dies soll wahrscheinlich bei den Kleinkindern den Appetit
auf die Ernährungseinnahme fördern.
Und die Nacktheit oder die raffinierte Teilnacktheit wird auch
besonders von Frauen als Versprechen der Begattungsbereitschaft
genutzt, wenn es um ganz andere Themen geht, bei denen die Frau
und der unterschiedliche Auffassungen haben. Ob es dann auch
immer zur Begattung kommt, kann nicht immer eruiert werden.
Wird ein Mann aber in solch einer Situation tatsächlich
sexuell erregt, dann kann es durchaus sein, dass dies von der
Frau angestrebt war, und dann eragiert sie böse, wenn er
nicht darauf eingeht. Oder es sollte ein anderes Ziel damit erreicht
werden, und er reagiert erregt, dann kann sie auch böse
werden, wenn ihr Ziel gar nicht der Begattungsakt war, sondern
das andere unausgesprochene Ziel.
Dei Sache mit dem Sexversprechen in der Werbung von Produkten
wie in der Werbung für Begattungshandlungen würde vielleicht
gar nicht funktionieren, wenn es üblich wäre, dass
die Menschen nackt umherlaufen würden. Vielleicht geht es
generell darum, durch das Verbergen des natürlichen Körpers
einen unnatürlichen Spannungszustand hervorzurufen, der
dann zu anderen nicht genannten erwünschten Zuständen
oder Erfüllungen führt.
Daher scheint es für viele Menschen, die finanzielle oder
andere Interessen haben, sehr wichtig zu sein, dass diese Bekleidungsgebote
immer strikt eingehalten werden. Und daher werden immer andere
Gründe dafür genannt, wenn jemand ermahnt wird, diese
Gebote einzuhalten.
Als wir beim Open-Ohr-Festival unseren Infostand aufgebaut hatten,
sagte ein Standbesucher zu uns, dass dieses Festival noch wie
früher sei, denn dort würden eine Reihe junger Männer
mit nacktem Oberkörper auf der Wiese rumtollen, was bei
anderen Festivals heutzutage gar nicht mehr üblich sei.
Nun muss ich bekennen, dass ich mir dieses Spiel der jungen Männer
auch interessiert und mit Gefallen angesehen hatte, freilich
ohne nun gleich deshalb erregt zu sein. Ich weiß ja, dass
man solche ansprechenden Bilder mit einiger Distanz anzusehen
hat, besonders wenn man als schwuler Mann am Infostand steht,
den man ist ja doch an solch einem Stand mehr unter Beobachtung,
als manche so meinen.
Hier gilt das, was ich bei einem Kölner Fastnachtsschlager
gehört habe: ... mir losse uns net dran fummele, mir
losse kejner ran .... Aber sie lassen sicherlich durchaus
die eine oder andere ran. Und selbst wenn sie sich von dem einen
oder anderen dran fummeln lassen würden und auch selber
fummeln würden, dann käme ich in meinem Alter wohl
kaum mehr ernsthaft in Betracht.
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- Das nur nebenbei, aber warum ist es denn
so, dass sich die Leute bei gutem Wetter nicht mehr relativ ausgezogen
auf der Wiese tummeln? Was ist denn da inzwischen passiert, was
ich nicht so recht mitbekommen habe?
In Wiesbaden gibt es ein Luft- und Sonnenbad, also
ein Gelände in dem Menschen jeden Alters und jeden Geschlechts
sich auf Wiesen tummeln und in der Sonne liegen können.
Und dort gibt es abgegrenzt ein Frauenbad, wo Frauen ohne von
Männern angestarrt zu werden völlig hüllenlos
sonnen können. Und es gibt dort auch ein abgetrenntes Männerbad,
wo Männer um von Männern angestarrt zu werden völlig
hüllenlos sonnen können.
Das klingt zwar irgendwie ulkig, aber es gibt die Realität
wieder. Oder hat sich dies nun auch schon geändert? Ich
war nämlich schon jahrelang nicht mehr dort, seit ich mich
meines Alters wegen nicht mehr so ansehnlich fühle.
Das ist auch etwas, was mit der Werbung und der sexuellen Verlockung
durch bewusstes Verdecken und geziehltes Entblößen
erreicht wird, nämlich dass die Menschen gar nicht mehr
so recht wissen, wie unbekleidete Menschen jeden Alters so aussehen.
Es werden nämlich in der Werbung und den gemalten bzw. fotografierten
Kunstobjekten nur unbekleidete Körper von Menschen eines
bestimmten Alters und mit einem bestimmten Gewicht bzw, einer
bestimmten wenig ausgebildeten Leibesfülle gezeigt.
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- Das sind dann die Leitbilder. Wer diesen
nicht mehr oder überhaupt nicht entspricht, kann eigentlich
nicht damit rechnen, wohlwollend angeschaut zu werden. Er oder
sie muss sich im Gegenteil gefallen lassen, dass alle Arten des
Missfallens gegenüber ihm oder ihr ausprobiert werden, so
deutlich und verachtungsvoll es nur geht.
Die Ausgrenzung des Schönheitsempfindens an Menschen, die
der schmalen Gewichts- und Altersschneise nicht oder nicht mehr
entsprechen, gehört zu den menschlichen Grausamkeiten dieser
Vermarktung des nackten menschlichen Körpers.
Und somit fühle ich mich genötigt, freiwillig dem Bekleidungszwang
zu entsprechen.
Täte ich dies nicht, könnte ich mich auf so manche
Angriffe gefasst machen, denn auf der Seite der An-greiferInnen
ist noch eine starke Verbündete, die Moral. Und die ist
das, was sich gehört, was das Selbstverständliche ist
und was sofort sanktioniert wird. (js)
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