106. Print-Ausgabe, Frühlings-LUST 2011
 
Verfrühte Sexualisierung durch Pornographie
Wenn über Jugend und Internet diskutiert wird, geht es oft auch darum, dass über die leicht zugängliche Pornographie Jugendliche mit Sex in Berührung kämen, bevor sie verinnerlicht haben, dass Sex bzw. sexuelle Lust in Liebe und Beziehung eingebettet gehören. Sex nur aus Lust wird besonders in konservativen Kreisen als schlecht und eine Gefahr angesehen und man geht davon aus, dass Kinder und Jugendliche daher viel zu früh mit sexuellen Kontakten und gegenseitigen Handlungen beginnen würden.

Daher macht man sich öffentlich dafür stark, dass Kindern u. Jugendlichen unter 18 Jahren keine Möglichkeit gelassen werden soll, die Abbildungen von Sexualität bzw. sexuelle Handlungen im Internet und anderswo vorfinden zu können.

Menschen, die nicht verhindern, dass Jugendliche so etwas zu sehen bekommen und außerdem vielleicht noch Jugendlichen die Gelegenheit nicht verwehren, Sex auszuprobieren, sollen, wie wir das aus den 50er Jahren kennen, bestraft werden.
Damit wolle man die „Übersexualisierung" bekämpfen.

In Wirklichkeit ist die Lage jedoch völlig anders: obwohl Kinder und Jugendliche unter 18 die Gelegenheit haben, sich Bilder und Filme mit sexuellen Handlungen im Internet anzusehen, sie tauschen sich auch gegeseitig mit entsprechenden heruntergeladenen Filmchen aus, und obwohl sie angeblich auch neugierig sind und davon Gebrauch machen, hat sich bei Umfragen ergeben, dass sie viel später mit ihren sexuellen Kontaktaufnahmen beginnen, als dies in früheren Generationen beobachtet wurde.

Die überall beklagte „sexuelle Reizüberflutung" ist für sie offensichtlich gar keine, es macht sie nicht in dem Maße heiß, wie die Leute, die solche Befürchtungen äußern, und daher beginnen Jugendliche der „Generation Porno" deutlich später mit dem „ersten Mal". Auch die Häufigkeit sexueller Handlungen seien geringer als bei früheren Generationen.

Dies ist das Ergebnis zahlreicher Untersuchungen bei uns, in Asien und in den USA.

Sex sei zwar überall auffindbar, aber die jüngere Generation kehrt sich offenbar allmählich davon ab und hat keine (sexuelle) Lust mehr, gemeinsame sexuelle Handlungen zu begehen. Die neue sexuelle Emanzipation scheint eine Emanzipation vom ständigen brisanten Sexuellen zu werden, so dass nun schon von der sexuellen Verweigerung der Jugendlichen gesprochen wird. Das hat kürzlich eine japanische Umfrage gezeigt.

Jetzt macht dies der aktuelle National Survey of Family Growth in den USA deutlich, wie die Washington Post berichtet. Mehr als ein Viertel der 15-24-Jährigen hatten noch keine sexuelle Beziehung mit anderen, 29 Prozent der Frauen und 27 Prozent der Männer – deutlich mehr als in einer Umfrage 2002.

Und schon ist man besorgt darüber, dass viel weniger Kinder frühzeitig Kinder bekommen und heiraten (müssen), also dies früher der Fall war, und so vielleicht das Singl-Wesen statt der frühen Ehe überhand nehmen könnte, was man als eine Bedrohung der Familienplitik ansieht.
Unser Kommentar dazu: Ob man nun neue sexualpolitische Maßnahmen erdenkt, beispielsweise durch ein Masturbationsverbot oder andere moralisierende Maßnahmen?

Wann ist eine Generation eigentlich „übersexualisiert"? Ist es eine gesellschaftliche Gefahr, wenn Sexualität nicht als Druckmittel funktionalisiert wird, möglichst früh zu heiraten?

Führt die frei zugängliche Abbildung von Nacktheit, sexuellen Handlungen oder sexbereiten Organen dazu, dass man „übersexualisiert" und sexüberdrüssig statt sexsüchtig wird?

Warum lassen uns diese Leute vom Journalisten über die FamilienpolitikerInnen bis hin zu den beruflichen Moralaposteln uns nicht einfach in Ruhe das dann machen, wenns uns Spaß macht und sich dazu willige PartnerInnen finden?

Was mischcen sich diese Leute eigentlich in unsere ureigensten Betten und Bettgeschichten ein?
Freilich, wenns um Sex wider Willen geht, muss eingegriffen werden.

Es scheint eher so zu sein, dass das Interesse an solchen Abbildungen dann nachlässt, wenn die Neugier befriedigt wurde, und wenn man sich das jederzeit ansehen kann und könnte, was ansonsten verborgen wird.

Daraus lässt sich vielleicht auch schließen, dass erst durch Verbote usw. die Bedeutung des Sexuellen deutlich angehoben wird, nach dem Motto: „Was verboten ist, das macht uns gerade scharf“.
 
Dein Kommentar zum Artikel: hier

 Zum Artikelarchiv

 Zur Artikelhauptseite

 Zur LUST-Hauptseite