- 106. Print-Ausgabe, Frühlings-LUST 2011
-
- Eine community frisst die
Schwulen auf
Ist Euch auch schon aufgefallen, was sich alles für Leute
um das Wort gay community herum tummeln? Oder welche
Minderheiten in den Begriff hineingesteckt werden? Schwule Interessengruppen
haben sich in den letzten Jahren unmerklich von Homosexuelle
auf LGBT erweitert. Das provozierte mich kürzlich
zur Bemerkung, dass offenbar die Minderheitengruppen bei den
Heterosexuellen am Zunehmen sind! ;-)
-
- Dann fällt mir auch regelmäßig
auf, wie tolerant wir Schwulen gegenüber allen, vor allem
natürlich gegen die Heteros sein sollten. Nicht die Mehrheit
soll gegenüber Minderheiten tolerant sein, sondern die Minderheiten
gegenüber der Mehrheit. Über die Konsequenzen solchen
Denkens macht sich aber Keiner tiefere Gedanken. Die meisten
glauben wohl, es wird schon richtig sein. Immer schwingt leise
auch die unausgesprochene Schlussfolgerung mit: Wenn wir Schwulen
erst mal tolerant gegenüber Heteros sind, dann wird uns
keiner mehr diskriminieren. Dies ist nicht nur Unkenntnis, sondern
lässt auch auf Faulheit und sogar den Unwillen schliessen,
genauer auf historische und soziale Zusammenhänge zu blicken.
Dies stützt auch meine untolerante Vermutung,
dass der grosse Teil der Männer, die sich in die Homosexualität
stürzen und gleichzeitig Diskretion predigen
und den Betriff Toleranz nicht verstehen, weil auch nicht
anwenden einen Bildungsgrad erreicht haben, der sie nicht
befähigt, sich mit den Tatsachen des Lebens auseinanderzusetzen
(besonders nicht mit HIV). Dieser grosse Teil von Männern
bleibt auch in ihrer beruflichen Weiterbildung stehen. Nicht
nur was Erfahrungen mit Mitmenschen (sozial) und in der Kommunikation
(als Dramaqueens) betrifft. Man könnte sagen: Wenn sie den
Hintereingang mal gefunden haben, dann reichts ihnen fürs
ganze Leben
Der Anfang der Schwulenbewegung hat sich um eigene wissenschaftliche
Recherchen bemüht und darum, die erlebten Erfahrungen untereinander
zu sammeln und zu verwerten, um ihrem bisherigen Leben entrinnen
zu können. Heute stürzen sich quasi viele Männer
in die Homosexualität, um darin ir-gendein Glück
vor allem den Spass (was immer das auch heissen mag) zu
suchen. In aller Einfalt halt. Sie versuchen auf die Art, wie
sie die Heteros sehen, mit ihren homosexuellen Bedürfnissen
zu leben. Vor allem die Diskreten sind immer so untolerant gegenüber
den homosexuellen oder gar anti-heterosexuellen
Formen von Paaren oder Gruppen. Und die Verstrickung in alle
diese alten, komödienhaften, bühnenreifen Alltags-
und Schicksals-Probleme der Heteros muss ihnen wohl wie eine
Art Heimat vorkommen. Das haben einige Printmedien und Internetmedien
begriffen: Lifestyle ist gefragt!
Ich bin jetzt 10 Jahre im Internet und habe Tausende von Profilen
auf Plattformen gelesen, oft bestückt mit gefakten Pics
aus dem Internet und möglichen Angaben über die körperliche
Beschaffenheit der Bewerber, um eineseriöse
Beziehung oder einen geilen Fick zu bekommen.
Mir scheint dass sich eine Erkenntnis in den letzten Jahren bewahrheitet
hat, die von den meisten übersehen wird: dass es bei
Cybersex nicht um den Geschlechtsverkehr mit einem (wie auch
immer gearteten) Anderen geht, sondern um die Vorstellung des
Verkehrs mit DEN Anderen. Die Anziehungskraft dieses Eros besteht
nicht darin, dass ich es mit allen machen kann, sondern mit allen
auf einmal.
-
- Wenn heute vom Untergang des Körpers
im Cyberspace die Rede ist, so wird dabei vergessen, dass der
Begriff des Körpers selbst eine neue Bedeutung
angenommen hat: Er bezieht sich immer weniger auf den einzelnen,
ach so fragilen und ach so langweiligen menschlichen Körper
und immer mehr auf einen grossen Körper, durch dessen Adern
die Lust an sich strömt und der die vielen kleinen Körper
zu einer Einheit verschmelzen lässt. (Christina von
Braun: Versuch über den Schwindel, S. 277/78)
Hieraus wird auch verständlich, dass sich viele in Chats
mit Rollenspielen begnügen, oder mit Fantasieschilderungen
bedient werden wollen, die alle dann plötzlich abbrechen,
wenn einer der Beteiligten seinen Orgasmus erreicht hat, oder
er sich in dem Geschilderten/den Fantasien nicht
mehr wieder findet.
Ich hatte grad kürzlich eine nette Bekanntschaft aus der
der Ostschweiz gemacht. Ein stimmungsvolles Bild eines sehnsüchtigen
Jungen im Profil und die Suchangabe nach einem Daddy.
Nach ein paar Messages schlug der junge Mann mir ein Tele-fondate
vor. Obwohl ich völlig ungeeignet für solche Spiele
bin, trieb mich die Neugierde in diesen Live-Versuch. In der
Stimme erkannte ich eine ganz gewöhnliche junge Tunte
(vor allem an dem etwas spitzen Tonfall), die mich
um meine Fantasien mit ihm bat. Mich machte schon diese einseitige
Dienstleistung stutzig, die da gefordert wurde. Und wirklich:
Nach ein paar Sätzen brach er das Spiel ab mit der Bemerkung:
Weisst Du, es macht mich einfach gar nicht geil.
Ich war nicht sonderlich überrascht darüber und sagte
einfach: Ok und tschüss! und legte auf. Es handelte
sich übrigens um einen Deutschen, der wohl beruflich ins
Ausland verzogen ist und jetzt etwas allein mit seinem Schwanz
herumhocken musste. ;-)
Doch wie manches Girl/Frau ächzt, stöhnt und heult,
wenn sie für einen Mann die Beine breit macht, nur um ihm
die Freude zu lassen, es supergut gemacht zu haben
und ihm die Motivation zu geben, sich hinterher bei anderen Männern
brüsten zu können?
Der Einbruch der Heterosexualität in die Gefilde der Schwulen
findet permanent und auf sehr vielfältige Weise statt. Gut
dokumentiert wird das auf sogenannten gay Plattformen.
Ihre Selbstbeschreibung hat sich vom Begriff schwul für
gay auf den ursprünglichen Begriff gay für fröhlich
reduziert. Ich will jetzt mal Abstand nehmen von allen Fetischen,
die herumgeistern. Darüber gäbe es Bücher zu schreiben.
Aber auch allein schon bei den Männern werden die Geschlechterformen
und Identitäten immer vielfältiger:
Die Travestie ist eigentlich ganz gut und mit Tradition in die
schwule Community integriert. Dieses Spiel diente seit jeher
der Unterhaltung auch der Heteros und dem Beweis, dass Männer
sehr gut die Frauen ersetzen können ja
die schöneren Frauen sein können. Sexuell
aufreizend sind Transvestiten höchstens für Heteros.
Im Allgemeinen aber sind öffentlich auftretende Transvestiten
schwul (mit einigen heterosexuellen Ausnahmen!) und wollen das
auch sein und bleiben. Sie sind auch meistens noch nach
der Vorstellung in der gay community unterwegs.
Die Bisexuellen könnte man denken hätten
doch am meisten gemeinsam mit Schwulen! Doch das ist nicht der
Fall. Das einzig Gemeinsame besteht im Bedürfnis nach Sex
mit einem Mann. Alles andere möchten sie nicht ändern
Bin ungeoutet und das soll auch so bleiben. Akzeptiert
dies oder lasst mich in Ruhe. 39 (verh.) bin
bi ungeoutet will es auch bleiben, bin hier um nette ehrliche
Menschen kennenzulernen.
Nicht alle sind so, aber es ist die ganz grosse Mehrheit, die
es weder mit ihren Freundinnen, noch mit ihren Frauen oder Familien
verderben wollen. Bi-Mann will zwar vom Honig schlecken, aber
sich den Mund nicht klebrig machen! Wenn sich Gruppen bilden,
dann vornehmlich unter dem Dach der Schwulen. An öffentliche
Demos ist gar nicht zu denken! Sie teilen letztlich nur Augenblicke
der Lust mit Schwulen
Bei den Transsexuellen laufen die Interessen zu den Schwulen
schon wesentlich mehr auseinander! Ich kann auf einige wenige
persönliche Bekanntschaften mit Transsexuellen zurückblicken.
Es mag eine Handvoll sein. Sie frequentierten zwar die gay community
und wurden auch toleriert, aber sie verschwanden dann meistens
mit einem heterosexuellen Ehemann. Doch wie das weiterging oder
endete, erfuhren wir höchstens aus dem Szenentratsch, oder
gar nicht. In der virtuellen gay community sind sie aber zu einem
festen Teil geworden. Aber nur als Gruppe, nicht als länger
anwesende Profile, wie die Schwulen.
Immer mehr fallen die internationalen Transen auf,
die sich für bestimmte Zeiten in bestimmten Städten
anmelden, wohl um dort solvente Kundschaft
anzulocken und nicht wirklich schwule Partner für ein Date,
oder auf der angeblichen Suche nach dem Richtigen.
Auch diese solvente Kundschaft bevölkert immer
mehr die virtuelle gay community. Als Heteros, als Profile ohne
Angabe der sexuellen Ausrichtung, oder als Bisexuelle. Offenbar
hat das auf heterosexuellen Plattformen keinen Platz?! Da sind
wir Gays doch viiil toleranter!
Es ist übrigens interessant, dass viele Heteros und Bisexuelle
gerade über diese Transen-Schiene in die Homosexualität
eintreten. Was die Junghomos stramm hetero-like abweisen:
Weiblichkeit, Weichheit, Passivität bei Männern. Das
greifen diese Abweichler von der Mehrheit auf, um einen Hybrid-Einstieg
zu wagen. Dazu ein kleines Detail. Shemales werden oft und stramm-hetero-like
als Schwanzmädchen bezeichnet. Bei Lichte besehen
sind es aber Tittenbuben! (Ihr wisst schon was ich
meine!)
So kann man heute immer mal wieder über Headlines stolpern
wie: Sorry Gays, aber ich suche keine Männer!
Ich möchte nur von DWTs, Transen und TVs Messages
erhalten!
Die neueste Gruppe der heterosexuellen Minderheiten sind die
Transmen, oder auch mal Transfrauen. Sie treten bescheidener
auf als die Transen. Die Angabe körperlicher Details wird
eher vernachlässigt. Auch sie suchen sich Partner bei den
Schwulen. Warum vergessen diese Leute aber immer ihre Lebenserfahrung
aus dem vergangenen Geschlecht, die ja nicht einfach
wie auf einer Festplatte gelöscht werden kann? Also die
Biografie einer Frau, die sich in einen Mann hat verwandeln lassen
und mit einem Mann weiterleben will
Was vereint denn die gleichgeschlechtlichen Lebensweisen?
Die gemeinsame Sozialisation und Lebenserfahrung als Männer
oder als Frauen.
Was vereint die homosexuell orientierten Menschen?
Die gemeinsam erlebte grössere oder geringere soziale Diskriminierung
noch obendrauf. Oder das emanzipierte Bewusstsein anders
aber gleichwertig zu sein. Heteros eint: Gleich
wie die Anderen, aber je anderswertig zu sein. Was sich nach
wie vor an der Situation der Frauen und auch der Schwulen
sehr gut ablesen lässt.
Wir können doch die geschlechtsspezifischen Erfahrungen
und Lebenslinien nicht über den Haufen werden und öfter
mal neu anfangen im Leben! Nur Heteros, die mehrmals
heiraten, glauben auch an sowas. Eben.
So finden wir Schwulen uns aus der historischen Bewegung über
irgendeine gesellschaftliche Toleranz hinweg in einer Community
wieder, die Schwule längst zu einer Minderheit unter den
Minderheiten rücktransformiert hat. Die Gesellschaft hat
uns mit dem Partnerschaftsgesetz Honig ans Maul gestrichen, aber
gleichzeitig weitere Minderheiten absorbiert (sh. oben!).
Wenn man/frau/gender mir jetzt Intoleranz vorwirft, dann muss
ich zurück fragen, warum denn alle diese vielfältigen
Gender und Geschlechter doch meistens darauf aus sind, letztlich
eine hetero Zweierbeziehung zu finden, während
ich als einfältiger Schwuler darauf aus bin, mich gerade
nicht in eine solche einschliessen zu lassen!?

Dient vielleicht diese ganze Vielfalt von Geschlechtswesen nur
dazu, letztlich die eheliche Zweierbeziehung unangetastet zu
lassen und damit auch die gesamte Herr/Frauschaftsstruktur dieser
Gesellschaft zu bewahren? Für Sonderformen gibt es eben
Sondergesetze.
Das entspräche auch der Logik der Toleranz von unten,
die eben die Machtverhältnisse nicht ändert und schliesslich
resigniert spätestens an dem Punkt, wo die Körperformen,
die virtuellen Formen und die Gesetzesformen einmal erschöpft
sein werden
Guten Abend!
Peter Thommen (61) und stramm-homo-liker Schwuler
Aktuelles Beispiel: Eine Frau mit Herz (24, und XXL-Schwanz!)
sucht Mann mit Herz für eine treue ehrliche Beziehung.
Peter Thommens Artikel erreicht Ihr über http://swissgay.info/
-
- Dein Kommentar zum Artikel: hier
-