106. Print-Ausgabe, Frühlings-LUST 2011
 
Unsere Ansprüche an unsere Szene
Nach dem Coming-out sind wir auf das angewiesen, was wir in der jeweiligen Gesellschaft für uns vorfinden, wo wir eine Gemeinschaft von Gleichgesonnenen vorfinden. Doch was würden wir gerne vorfinden und was finden wir stattdessen vor?
 
Es geht uns in der Szene darum, einen Ort vorzufinden, wo wir Menschen finden, an denen uns gelegen ein könnte. Und diese Menschen, die wir vorfinden wollen, sollen unseren Wunschträumen entsprechen. Unetscheiden sich unsere Wunschträumen sehr voneinander?

In den von Männern wahrgenommenen und verbreiteten szeneeigenen Vorurteilen wird behauptet, der gewünschte vorzufindende Szenebe-sucher sei jung, schlank, offen für Kontakte mit Älteren, und liebe auch die Gemeinschaft mit älteren Schwulen, suche aber den Einen.

In den von Frauen besuchten Betrieben sagt frau, die lt. Vorurteil am meisten gesuchte Besucherin sei eher jung, schlank, eher weiblich, anpassungsfähig und bringe zum 2. Date schon ihren Möbelwagen mit.

Junge Männer suchen meistens was Gleichaltriges oder noch Jüngeres, einige wenige suchen was Älteres. Diese Älteren sollen smart und interessant sein, sexlustig und auch be-ziehungstreu, sowohl finanziel wie auch körperlich gut ausgestattet sein. Junge Frauen suchen meist die eher gleichaltrige Clique, wobei eine etwas ältere Meinungsführerin hier nicht besonders stört. Aber es geht um das Finden der einen, mit der frau sich dann in Zweisamkeit begeben kann, statt der Szene. Diese soll gebildet, großzügig und besser gegstellt sein, also was hermachen, dennoch aufgeschlossen und am Leben der jüngeren Freundin interessiert.

Die Betreiber und Betreiberinnen von Kneipen, Diskotheken, Pornoläden mit Cruisingareal, Buchläden usw. wollen vor allem ihr festes Stammpublikum, das charmant und interessiert ist und eine gewisse Bindungskraft gegenüber neuen BesucherInnen hat.

Ihnen stören auch die sporadisch auftauchenden BesucherInnen erst einmal nicht, auch heterosexuelle zahlende Gäste nicht, es sei denn sie würden durch ihr Verhalten zum Störfaktor unter den Stammgästen.

Jugendliche Gäste werden meist bevorzugt bedient, denn sie ziehen meist ältere Gäste an. Ältere suchende Dauergäste sind aber auch sehr beliebt, denn sie geben meist das meiste Geld aus. Bisexuelle Männer werden gerne gesehen, weil diese meist Sexkontakte suche und sich in Beziehungen eher dann heterosexuell verhalten, doch wenn sich schwule Männer in sie verlieben führt dies eher zu Ärger.

In Lesbenkneipen sind Männer zu-meist grundsätzlich nicht gerne gesehen, in Schwulenkneipen werden Frauen in der Regel geduldet, aber sogenannte „schwule Frauen“, auch Schwulenmutties genant, also Frauen die entweder schwule Männer als Partner gewinnen wollen oder sich in deren Beziehungen ständig einmischen, werden dann eher nicht gemocht, wenn das den Suchenden ständig die Tour vermasselt.

Bisesexuelle Frauen sind in Lesbenkneipen nicht so gerne gesehen, weil es lesbischen Frauen fremd wäre, ihre Freundin mit einem Mann teilen zu müssen.

Andere Interessen haben aber meist die engagierten AktivistInnen der Lesben- und Schwulenbewegung, besonders dann, wenn ihhen daran gelegen ist, ihre Clique oder Gruppe für Aktivitäten zusammenzuhalten. Da werden nämlich Lesben und Schwule gebraucht, die von ihrem Leben her verstehen können, um was es geht. Und wenn „schwule Frauen“ zum Beispiel bei Schwulen nicht verstehen, dass dieses Einmischen, das zudem noch den Druck der Hete-rogesellschaft verkörpert, eine solidarische Aktion im Zusammenhang von Heterosexismus unterläuft, kann ebenso nicht gearbeitet werden, wie wenn Bisexuelle ständig nicht für schwul oder lesbisch gehalten werden wollen usw.

Der Versuch, eine eigene Moral in den eigenen Beziehungen von Lesben und Schwulen zu entwickeln ist auch nicht möglich, wenn aus den Standarts der heterosexuellen Normalität heraus argumentiert wird und so eigene Versuche in den eigenen Reihen für unmoralisch oder untragbar gehalten werden.

Diese Hetenmoral wird von noch frischen Coming-outlern ebenso vertreten wie von bisexuellen Homo-Kontaktsuchenden, homosexuellen Frauen, also alle die sporadische Kontakte wollen und ansonsten in der Hetenwelt integriert sich, oder Leute unserer Szene für Hetenkon-takte gewinnen wollen usw.

Hier ist besonders den AktivistInnen daran gelegen, Grenzen zu beschreiben und, soweit möglich, zu ziehen, denn die Hetenwelt greift tatsächlich recht tief in unsere Versuche ein, un-ser eigenes Leben einigermaßen auf die Reihe zu bringen.

Schließlich kann es nicht nur darum gehen, in jungen Jahren möglichst viele und schnelle Kontakte zu bekommen, sondern auch für das Leben von den erwachsen gewordenen oder auch ins Alter gekommenen Lesben und Schwulen den nötige Spielraum und Rahmen möglich zu machen. Dieser Spielraum ist aber dann verbaut, wenn wir letzlich nur Anhängsel heterosexueller Abenteuerlust wären.

Ich will es an einem Beispiel erklären. In einer Schwulengruppe, in der ich früher eine Zeitlang war, lernte ich einen junge feminimen Mann kennen, der mit einer „schwulen Frau“ befreundet war. Unsere sexuellen Treffen verliefen recht zufrie-denstellend, weniger zufriedenstellend war es für mich, wenn ich eingeladen war, mit ihm auszugehen. Da kam seine Freundin mit, die Wert darauf legte, mit ihm eingehängt zu gehen, ständig mit ihm zweiseitige Gespräche zu führen und wenns mal so war, dass er mit mir sprach, laut-hals rumzutölen, auf eine Art, wie man schwulen Männern unterstellt, zu sprechen. Übrigens ließ sie mich spüren, dass sie gespräche mit mir nicht wollte. Weil ihn das nicht störte, ging ich nicht mehr mit.

Sie verbreitete noch einige gehässige Gerüchte in der Szene über mich, ich war aber dann unterdessen mit anderen Leuten zusammen. Später erfuhr ich, das die beiden nun ein Kind haben. Ein Kind ist dann immer das schlagende Argument. Er kam nur noch in die Gruppe, um sich Sexkontakte abzuholen. Da er jung und gutaussehend war, gelang ihn dies immer. Ihr versteht, dass sich unter solchen Bedingungen keine schwule Beziehung mit ihren eigenen Strukturen aufbauen kann?

Die Ansprüche an die Szene haben auch viel mit dem Alter, dem sozialen Status und dem eigenen gesellschaftlichen Umgang zu tun.

So kam mal in unsere Lesben- und Schwulengruppe, die wir selber aufgebaut haben, ein recht junger Mann, der einen Freund suchte. Er fand ihn übrigens auch und die beiden jungen Männer ließen sich dann bei uns nicht mehr sehen. Vorher hatte er noch Lust, an unserer Zeitschrift mitzuar-beiten, indem er Kurzgeschichten schreiben wollte, die mit ihm zu tun hatten. Und was schrieb er? Zum Beispiel eine Geschichte, in der ein junger Mann einen Freund fand. Dieser Freund war zwar deutlich älter als er, war aber noch so jugendlich, dass er all das machen wollte, was ein so junger Mann auch mit einem Freund eben gerne macht, zum Beispiel ständig in die Disco gehen usw. Dieser ältere Freund, von dem er schrieb, besaß auch ein Unternehmen, und so war Geld und Zeit da, im Urlaub bzw. den Schulferien überall hin in die Welt zu reisen, wo was los ist oder zu sein schien. Und als der Ich-Erzähler dann aus der Schule kam, hatte sein Freund schon eine gute Arbeitsstelle in seiner Firma für ihn bereit, in der auch er gutes Geld verdienen konnte.

Ihr versteht was ich meine? Die Szene ist dann gut, wenn sie in der Lage ist, die jeweiligen Wünsche zu erfüllen, die aus der Situation stammen, in der sich betreffende gerade befindet. Nur haben diese wünsche nichts mit dem speziellen schwulen Leben zu tun, mit dem Leben überhaupt natürlich schon.

Was wünschen sich eigentlich die Lesben und Schwulen von ihrem Leben? In Gesprächen kommt raus, dass sich ddie einen wünschten, dass sie ihr lesbisches oder schwules Leben in die vorherrschende (heterosexuelle) Gesellschaft integrieren könnten, die anderen möchten ihr tägliches Leben, auch das Berufsleben, in die lesbische oder schwule Szene integrieren.

Beides klappt nicht so wie es gewünscht wird, aber die Szene soll es richten. Und wie? Das wissen die meisten nicht, sie wollen nur, dass es gerade das gibt, was sie nun gerne hätten und bräuchten. Deshalb gibt es auch so viele, die sagen, sie seien keine Szenegänger, weil sie das wünschen, um das herum weder ein Geschäft gebaut werden kann, was sich wirtschaftlich trägt, noch eine Gruppe oder soziale Einrichtung gebildet werden kann, die dann auch lebensfähig ist.

Und was gibt es so in der Szene? Am Beratungstelefon war ein älterer Mann, der Frau und Kinder sowie einen Beruf hat, mit dem er in der Öffentlichkeit aufzutreten hat. Er sei demzufolge ungeoutet und das solle auch so bleiben. Er wolle sein derzeitiges Leben nicht gefährden. Dennoch habe er die sexuelle Sehnsucht nach einem besonders jungen schlanken gutaussehenden Mann, mit dem er zwar keine richtige Beziehung wolle, denn das könne ja rauskommen, sondern die Möglichkeit, dann Sex zu haben, wenn ihm danach ist und er Zeit und Gelegenheit habe. An Geld solle es nicht liegen, das habe er genügend.

Na bravo. Eine solche Einrichtung will er in der Szene, wo hübsche junge Männer gerade auf seine Lust warten? Ist doch klar was der sucht: ein Bordell mit jungen Strichern.
Das sagte ich ihm damals unverblümt und er war sauer. Es ging mal wieder um ein Anhängsel an sein heterosexuelles Leben, und wir sollten dies für ihn bereit haben.

Er besuchte übrigens ein Bordell (ich wusste gar nicht, das es in unserer Region sowas gibt) und meinte bei einem erneuten Anruf, dass dieser Boy, den er sich dort ausgesucht hatte, so lieblos und geschäftsmäßig und wenig interessiert an im mit ihm umgegangen sei. Dies sei auch nichts. Die Beratung sei schlecht, weil ihm nichts besseres geboten würde.

Tja, geschäftsmäßg, wir leben nun mal in einer Welt der Geschäfte, die da sind, wenn ein Markt dafür da ist, also einen Bedarf und das Angebot, und diesen gibt es anscheinend. Marktwirtschaft hat schon was von individueller Freiheit, wenn man das Geld dafür hat. Doch besondere Hingabe, Verleibtsein usw,. das kann man wohl für Geld nicht erhalten. Oder doch? Vielleicht dann, wenn man noch etwas mehr dafür zu bezahlen bereit ist. Darfs noch ein bisschen mehr sein?

Stricher sind meistens nicht schwul, heißt es. Ihre hauptsächlichen Kunden sind heterosexuell verheiratete Männer. Beide scheinen aufeinander angewiesen zu sein, der Freier auf seine schnelle beziehungslose Möglichkeit, der Stricher auf die Wirtshaftskraft der Freier.

Zu unserem Erstaunen erfuhren wir, dass es so etwas Ähnliches auch in der Lesbenszene gibt, ob aber genau so zahlreich? Wahrscheinlich wohl nicht. Oder doch? Eine junge Lesbe aus Hamburg erzählte uns, dass sie von Prostitution mit Frauen lebt. Ihr Traum war eine Art eheähnliche Beziehung mit einer wohlhabenden Frau.
 
Das erinnert doch sehr an die „Promiluder“ in der heterosexuellen „Gesellschaft“, die letztlich über die Hochzeit mit einem Prominenten versuchen, sich wirtschaftlich zu sanieren. Hier wären vielleicht einmal Untersuchungen über die Vergleichbarkeit so mancher Ehen mit Prostitution ein lohnendes Thema. Es würde aber den Widerspruch so mancher Feministinnen und religiösen Frauen hervorrufen. Die junge lesbische Prostituierte war nicht gerade eine Feministin, denn sie ärgerte sich über die „Verlogenheit“ vieler Feministinnen, die sich über den Angriff auf Männersex definierten, aber die Verhältnisse in der eigenen Szene außer acht ließen.

Prostitution scheint eine wesentliche marktwirtschaftliche Antwort auf die „Notstände“ in unserer Szene und auch in den Randbereichen unserer Szene zu sein.
In größeren Städten gibt es Einrichtungen zur Betreuung von Strichern, da deren Leben auch nicht gerade einfach ist. Doch dieses Thema sparen wir hier mal aus.

Unsere Szene ist nicht mit der Bewegung identisch, sie ist überwiegend marktwirtschaftlich organisiert und bietet im wesentlichen das, wonach ein Bedarf ist.
Die Lesbenszene ist weit kleiner als die Schwulenszene, wie uns gesagt wird, verzichten viele Lesben, nanchdem sie eine Freundin gefunden haben, auf die Szene, weil sie vermeiden wollen, dass ihre Freundin angebaggert wird.

Die Schwulenszene ist größer als die Lesbenszene, weil viele Schwule in Beziehung trotzdem nach dem Mann für die Nacht suchen. Hier treffen sie dann solche Männer, die in heterosexuellen Beziehungen leben. Ind Saunen und Parks, in Kneipen und Diskotheken usw.

Aber die Szene vermittelt auch eine Art Heimatgefühl, wo man unter Leuten ist, die auch lesbisch oder schwul leben, sofern man über Sexkontakte hinaus Interessen pflegt. (js/rs)
 
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