105. Print-Ausgabe, Winter-LUST 2010/2011
 
Schluss mit Multikulti?
Die Kanzlerin sagts, andere der Union nutzen ebenfalls die Gunst der Stunde und den Wirbel um Sarazins Buch, Multikulti hat versagt, Rotgrün hat also in der Inegrationspolitik versagt, Schwarzgelb macht es besser und gibt so allen Rassisten und Islamgegnern in Partei und Gesellschaft recht.

Dass es Zuwanderung nach Deutschland gab und gibt, wussten und sahen alle seit den 50er Jahren in der Bundesrepublik deutlich.
Gastarbeiter in Deutschland gibt es jedoch schon im Mittelalter. Immer wieder kommen beispiels-weise italienische Wanderarbeiter nach Deutschland, bis ins Kaiserreich hinein. Allein in den Münchener Ziegeleien arbeiten 1891 nahezu 6000 Italiener. Der Erste Weltkrieg stoppt diese Tendenz. 1937 schließen das Deutsche Reich und Italien ein Anwerbeabkommen. Wegen der Kriegsvorbereitungen fehlen den Nazis Kräfte in der Industrie und der Landwirtschaft. Rund 350.000 Italiener kommen bis 1943 ins faschistische Deutschland – und werden in den letzten zwei Kriegsjahren zu Zwangsarbeitern.

Aus den von deutschen Truppen besetzten Gebieten wurden Arbeitskräfte zwangsweise nach Deutschland verschleppt, besonders aus Polen, die man „Fremdarbeiter“ nannte. In der eher rassisitisch orientierten Nachkriegsgesellschaft wollte man die neu in der Bundesrepublik arbeitenden Menschen „Fremdarbeiter“ nennen, aber sie wurden offiziell „Gastarbeiter“ genannt.

Zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wird in Deutschland wieder Hilfe aus dem Ausland benötigt: Die eigenen Kräfte reichen bei weitem nicht aus, um das eigene Land wieder aufzubauen. Von Firmen werden Arbeiter – vor allem für körperlich schwere Tätigkeiten – ebenso händeringend gesucht wie im Straßen- und Brückenbau. Im Süden Italiens dagegen stehen viele Menschen auf der Straße, arbeitslos und kaum in der Lage, ihre Familien zu ernähren.

Aus dieser Not heraus machen Deutschland und Italien eine Tugend: Am 20. Dezember 1955 erfolgt der Abschluss des Anwerbeabkommens, das deutschen Unternehmen erlaubt, sich im Süden Europas die dringend benötigten Arbeitskräfte zu holen. Für die Anwerbung und Vermittlung richtet die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit in Verona und später in Neapel sogar eine „Deutsche Kommission“ ein.

Nach den Italienern kamen die Spanier, Griechen und Yugoslaven, dann Nordafrikaner und Türken. Während man sich besonders aus konservativen Kreisen bemühte, diese ArbeitsmigrantInnen als Menschen dritter und vierter Klasse zu behandeln, hatten die KollegInnen in den Betrieben andere Probleme.

Für sie waren die Menschen Lohndrücker, die sich für niedrigeren Lohn in den Betrieben anstellen ließen. Die ausländischcen ArbeitnehmerInnen aus den Betrieben zu vertreiben, war ihnen nicht möglich, daher gab es die andere Lösung, durch die Gewerkschaften bemühte man sich, für alle gute Löhne zu erreichen.

Anders ausgedrückt, das schlechte Behandeln der ArbeitsimmigrantInnen zahlte sich für die Konzernherren aus, das Gleichbehandeln zahlte sich für die ArbeitnehmerInnen aus.

Und so ergab es sich, dass man seitens der konservativen Kräfte des Landes die Arbeitneh-merInnen dazu gewinnen wollte, die Gewinne der Konzerne zu steigern, was natürlich nur gegen die Interessen der ArbeitnehmerInnen möglich war. Wie sollte das gelingen? Natürlich nach altem Rezept. Mittels Mobilisierung der „rechtsschaffenden Mitte“ der Gesellschaft, mittels Vorurteilen und Rassismus usw.

Die Konservativen unterzeichneten die Verträge zur Zuwanderung von GastarbeiterInnen im Interesse der Konzerne, und sie verkündeten überall lauthals, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei.

Sie begrenzten nach Kräften den Entfaltungsspielraum der ArbeitsmigrantInnen und deren Familien, sogent dafür, dass ihre Integration nicht gefödert wird, denn Deutschland sei kein Einwanderungsland. Von ihnen kamen die arbeitnehmerInnenspaltenden Parolen, dass deutsche Arbeitsplätze den Deutschen gehören sollten, dass „kriminelle Ausländer“ ausgewiesen werden sollten und dass es eine „deutsche Leitkultur“ geben sollte.

Die politische Opposition wollte die Integration mit vielfältigen kleineren Maßnahmen erleichtern, was als „Multikulti“ diffamiert wurde. Dabei ging sie nicht immer sinnvoll oder geschickt vor.

Die über Jahrzehnte drittklassig behandelten MirgrantInnen hatten unterdessen kaum mehr ein Verlangen, hier integriert zu werden. Und inzwischen ist auch auf der Welt einiges passiert, zum Beispiel der Zusammenbruch der Länder, die sich sozialistisch nannten und das politische Erstarken der Länder, die bisher dünkelhaft als drittklassig abgetan wurden.

Nun plötzlich wollen auch die Konservativen die Integration der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund und die Wirtschaft braucht sie auch als besser Integrierte und Ausgebildete.

Und nun greifen die Konservativen nicht etwa ihre eigene frühere Politik an, um anders zu steuern. Das ist nicht ihre Art. Die Frauendiskriminierung der Nachkriegszeit, die Schwulenverfolgung der 50er und frühen 60er haben sie einfach ausgesessen und tun so, als könnten sie in der Frauenpolitik und der Schwulenpolitik mitreden.

Nein, sie nutzen die ideologischen Verwerfungen unserer Zeit, wo der Krieg der Islamisten die Kinder der bei uns leben Muslime erreicht, sie reden von Parallelgesellschaften, die sie ja durch die Nichtintegration selber geschaffen haben, und sie machen rot-grün dafür verantwortlich. obwohl diese doch versucht hatten, gegenzusteuern und Integration dennoch durchzuführen.

Tatsächlich scheint es auf diese Weise den Konservativen zu gelingen. In der Szene hört man, man sei früher eher links gewesen, aber nun müsse man doch die muslimischen Parallelgesellschaften bekämpfen usw.

An allen Problemen miit den Muslimen, mit dem islamistischen Krieg gegen den Westen, mit der Verrarmung gerade der migrantischen Familien und die Auswirkungen davon sind nun nach der Unions-Propaganda „rotgrün“ schuld und die Konservativen müssen nun alles in Ordnung bringen und die Integration vorantreiben. Als älterer Mann habe ich das alles anders erlebt. (js)
 
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