105. Print-Ausgabe, Winter-LUST 2010/2011
 
„Heterolike und Homolike"
Heterosexuelle öffnen sich den als homosexuell geltenden Verhaltensweisen, ohne sich wirklich zu öffnen und homosexuelle klammern sich an die heterosexuellen Verhaltensweisen.
Ein älterer Mann stand mit einer Einkaufstasche bewaffnet an einer Bushaltestelle in einer Gruppe anderer Menschen.

Plötzlich schwebte ein junger, schlanker und sehr biegsamer Mann auf die Haltestelle zu und zog sofort alle Blicke auf sich. Manche Warteten sahen sich wortlos an und grinsten dabei auf eine geringschätzige Art.

Offensichtlich bewegte er sich unangemessen, denn sein Schritt war eher weich, er bewegte beim Laufen seine Hüften.

Als dieser junge Mann näher an die Haltestelle kam, rief er plötzlich erfreut: Hallo Erich!“
Alle drehten sich dahin um, wohin der junge Mann geschaut hatte, nämlich auf den älteren Mann. Dieser drehte sich auch um, aber hinter ihm stand niemand.

Die eher helle Stimme des jungen Mannes und sie gedehnten Vokale lösten bei so manchen Männern Belustigung aus, und es war wieder dieser böse eher geringschätzige Humor, und alle waren daran interessiert, den Erich zu sehen. Doch der war weg. Der ältere Mann hatte sich verdrückt.

Was war denn das Schlimme am Verhalten des jungen Mannes? Er verhielt sich überhaupt nicht anders als es nahezu alle Frauen tun, doch sie hatten auch über ihn und den Erich gelacht, noch viel höhnischer als die Männer an der Bushaltestelle. Der junge Mann hat sich also so verhalten, wie es junge Männer nicht tun, um nicht anzuecken.

Zwei Themen sind mir dabei durch den Kopf gegangen: Ist das Verhalten junger Frauen ein weibliches Verhalten oder ein sexuell aufreizendes verhalten, das sich nur Frauen erlauben dürfen?

Männer dürfen nicht sanft, biegsam, kokett usw. wirgen? Und genau das wird auch schon feminim genannt, weils nur Frauen dürfen?

Was hat mich eigentlich immer an jungen Südländern so fasziniert? Das fiel mir nun ein. Und auch die Frauen fannden die jungen Südländer einfach süß. Was faszinierend war, war genau dieses feminime Verhalten, nur wirkte es bei denen nicht so künstlich.

Bei ihnen sah man dies mit einem gewissen Wohlwollen, was man bei den nordeuropäischen Männern einfach nicht akzeptiert.

Das ist das Faszinierende an den jungen Südländern, ihre Bewegungen, ihre Mimik, ihre Koketterie, eben ihr Charme.

Der junge Mann an der Bushaltestelle würde bei uns einfach „Tunte“ genannt. Die jungen Südländer werden so aber nicht genannt. Ihnen erlaubt man was hier verboten ist.

Man eslaubt es den Südländern aber nicht, wenn sie zum Beispiel einen Bart tragen. Und Kinder, auch männliche Kinder von Nordeuropäern, die dürfen sich ebenfalls kokett verhalten. Jugendliche nicht, weil das schwul wirkt, heißt es. Und niemand möchte schwul wirken.

Schwules verhalten ist also eine kokettes Verhalten, was weibisch genannt wird, weil nur Frauen kokettieren dürfen?

Der Erich an der Bushaltestelle wollte also nicht als Schwuler angesehen werden, und wirklich, ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass der schwul sein könnte. Er wollte auch nicht durch seine Bekanntschaft mit einem koketten jungen Mann, den alle für schwul halten, für schwul gehalten werden. Pech für ihn, kann masn da nur sagen.

In Neordeuropa ist man entweder „normal“, oder „schwul“. In Südeuropa, so sagen viele, haben die Männer alle was Schwules. Deshalb wären die Frauen auch so scharf auf die Südländer.

Das sind alles Vorstellungen, die den Männern generell die Möglichkeit nehmen, gut zu kokettieren. Männer werden so in die Rolle des Mannes gebracht, der sich von Frauen verführen lässt aber selber nicht verführen darf. Das ist natürlich sehr schade.

Wenn mnan schwule Kontaktanzei-gen liest, findet man immer wieder die Forderung, der dringend ge-suchte Partner solle „heterolike“ sein. Und viele schreiben über sich, dass sie „heterolike“ wären, in der Hoffnung, so eher gewünscht zu werden.

Und was ist „heterolike“? Wie ein Hetero? Ist es denn erstrebenswert, einen Mann oder Boy zu finden, der wie eine Heteros ist (außer im Bett, ist wohl anzunehmen)?

Also möchte der Suchende hier keinen Mann kennenlernen, der kokett ist und den man in der Öffentlichkeit für schwul halten könnte. Daraus kann man allerdings schließen, dass er selber recht ängstlich ist, ein Erich eben.

Diese Ängstlichkeit wird kurioserweise meistens mit Stärke verwechselt, also das Unterdrücken des allgemein Menschliche im Mann wird Männlichkeit genannt, der Mut zur männlichen Koketterie wird einfach Schwäche genannt.

Das machen sich so aber die „Neanderthaler-Typen sehr einfach, indem sie ihre Ängstlichkeit, als kein „richtiger“ Mann angesehen zu werden, mit Stärke verwechseln.

Aber das ist ja immer so: wer eine Stärke an sich besonders betont, kaschiert damit nur eine Schwäche. Tragisch ist dies nur, wenn alle anderen das nicht erkennen und wenn die sich auch viele ihrer Möglichkeiten nehmen.

Einmal sah ich in einer Straße einen sehr feminm wirkenden jungen schlanken Mann herumlaufen, und weil er mir ganz gut gefiel erfand ich einen Vorwand, um ihn anzusprechen. Das klappte aber nicht, weil er mir versicherte dass er keine sexuelle Lust auf Männer verspüren würde.

Einige Monate später, als ich mal wieder Lust hatte, in die kleine Wiesbadener Disco Pussy Cats zu gehen, überlegte ich mir dieses Vorhaben genauer.

Dort liefen nämlich eine ganze Reihe von sogenannten Schwulenmutties rum, die ganz gerne junge schwule Männer kennenlernen wollten, und die störten mich, weil sie sich immer einmischten, wenn ich nen jungen Mann kennenlernen wollte. Heute gibt es diese kleine Disco nicht mehr, aber damals wars der Tummelplatz.

Plötzlich sah ich den feminimen jungen Mann dort umherschweben, den ich seinerzeit auf der Straße gesehen hatte und meinte zu ihm: Also hierher geht man ja eigentlich, um den Mann für die Nacht oder für länger kennenzulernen.

Ich suche aber die Frau für die nacht hier, meinte er zu mir, denn hier sind viele Frauen, die junge feminime Männer kennenlernen möchten. Die wollen sie für sich umdrehen und ich lasse mich dann recht gerne von ihnen umdrehen.

Die Schwulenmutties nennen sich heutzutage selber „schwule Frauen“, was so eigentlich nicht stimmt, denn im Grunde sind es heterosexuelle Frauen, die auf junge Bübchen stehen und so einfach würden sie nicht an diese herankommen.

Zurück zu „heterolike“. Schwule junge Männer, die sich auch in der Szene heteroilike geben, gelten in der Szene allerdings als Dutzendware und finden nicht so leicht jemanden. Sie demonstreiren nämlich mit ihrem Habitus, dass sie entweder „der Mann“ in der Beziehung sein wollen und den Partner zu ihrer Frau machen wollen (vielleicht nur im Bett), oder sie suchen eine Art Kameraderie ohne größere Nähre nach der wohl gesuchten sexuellen Entspannung.

Damit machen sie sich auf diese Weise zum Erich. Und der Erich wird in der Szene im Grunde meistens übersehen. Man meint, er sei zu alt. das ist wieder ein anderes Thema: Leute sollen sich altersgemäß verhalten.

Für den cleveren feminimen heterosexuellen jungen Mann würde der Bergriff „Homolike“ vielleicht ganz gut passen, wenn er die Homosexuellen nicht pauschal zu feminim auftretenden Männern machen würde. Übrigens es gab Frauen in der Schwulenszene, denen ich von diesem jungen Mann erzählte, und die wurden dann so richtig sauer darüber. Tja!

Imgrunde sind solche Begriffe ge-nauso seltsam wie das dazugehörige Verhalten. Wer jemanden sucht, der „heterolike“ ist, will keine Tunten. Und da dies ein diskriminierendes Schimpfwort ist, möchte man nicht wie ein Diskriminierer wirken, aber man ist eben doch einer.

„Du redest immer von den jungen schlanken feminimen Männern, die nach Deinem Geschmack sind. Was ist aber mit den alten fetten Tunten?“ Tja, da hat er micherwischt. Das ist nach meinem Geschmacksmodell, deas ich in mir habe, überhaupt nicht mit Erotik verbunden.
 
Ein dicker alter Mann ist für mich ebensowenig erotisch wie ein dicker jungen Mann. Und sie sing ebenso unerotisch ob sie nun eher das sind, was man maskulin nennt oder was man feminin nennt.
 
Ich kanns auch anders sagen: ich habe bei dem jungen schlanken femininen südländischen mit mir kokettierenden Mann all das aufgezählt, was mich anmacht. Und da ist die Frage, ob jemand tuntig ist oder nicht nur einer von diversen Bausteinen von einem Menschen, die ihn auf mich erotisch wirken lassen.

Die Angaben in den Profilen der Internet-Kontaktbörsen sind daher einerseits zu grob, um sich wirklich ein Urteill bilden zu können. Was sie überhaupt nicht können, ist, ob der betreffende Mensch angenehm auf mich wirkt oder nicht.

Wie ist seine Gesprächsführung, wie nah fühle ich mich ihm gegenüber, wenn er mir von seinen Wunschträumen oder sein bisheriges Leben erzählt, vor allem wenn er mir sagt, was er denn nun von mir will?

Und dann kommts auch darauf an, in welcher Reihenfolge ich jemanden kennenlerne. Gehts zuerst um den Blickkontakt, dann fallen Leute weg, die so sind, wie ich es bin, obwohl ich doch der netteste Mensch bin, den ich kenne. (js)
 
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