104. Print-Ausgabe, Herbst-LUST 2010
 
Deutlicher Sozialabbau und alle sind noch damit einverstanden
Die gewählte Regierung Merkel/Westerwelle startet „endlich“ durch, schreiben die konservativen Kolumnen. Endlich gehe es vornan. und womit geht es „endlich“ „Voran“? Mit dem Abbau von allem, was das Leben lebenswert machen kann. Das wollen wir uns hier mal genauer anschauen. Beginnen wir mit Hartz IV und dem Mindestlohn.
 
Hartz IV
Die erbärmliche Summe von 20 Euro sollte, so hörte man durch die verschlossenen Türen des Kabinetts sickern, das Hartz-IV-Problem lösen Einige entrüsteten sich, doch alle hielten still. Doch dann sickerte durch, dass es 10 Euro sein sollten. Kaum jemand kommentierte dies. (Über allen Gipfeln ist ruh. Durch alle Wipfel spürest Du kaum einen Hauch).

Das ermutigte die Regierung wohl dazu, nun stolz die Erhöhung von 5 Euro pro Monat anzukündigen. Damit soll garantiert werden, dass sich das Verfassungsgericht zufrieden gibt. Dies hatte ja bei der Berechnung der Sätze für Kinder moniert, dass die Berechnungsgrundlagen nicht nachvollziehbar seien.

Schnell beeilte sich da die Regierung zu verkünden, dass sich dadurch die Summe nicht erhöhen werde, denn das hätte das Verfassungsgericht nicht eindeutig eingefordert.

Einer junge (heterosexuelle) Frau unserer Szene, ein bisschen füllig, die gerne mit jungen Schwulen durch die Szene tingelte, erklärte mir, dass sie die SPD nicht leiden könne, weil die das Hartz IV-Gesetz gemacht habe. Dem pflichtete ich bei. Sie ist mit ihrer Familie aus Südamerika gekommen und ihre Eltern haben sich hier einen Betrieb aufgebaut.

Doch als sie erklärte, warum sie gegen Hartz IV sei, konnte ich ihr nicht mehr beipflichten. Sie wusste nicht, dass durch Hatz IV Arbeitslose nicht mehr gemäß ihrem bisherigen Lohn Arbeitslosenhilfe erhalten hatten und Hartz IV ihnen dies wegnahm, sondern sie meinte, da werde den Versagern viel zu viel Geld in der Rachen für das Nichtstun geworfen.

Von Mindestlohn würden weder ihre Eltern noch sie etwas halten. Wer arbeitet sollte mehr bekommen als solche, die nicht arbeiten und die Lohnaufstockung für vollzeitbeschäftigte Schlechtverdiener durch den Staat würde sie besser finden.
Solche und ähnliche Leute sind sicher das Wählervolk, das durch solche Reformen angesprochen wird. Die SPD schien ihr zu links? Wo könnte man denn sie einordnen?
 
„Gesundheit“
Kaum haben sich die Koalitionspartner darauf geeinigt, wie sie zugunsten der privaten Versicherungen die gesetzlichen Versicherungen zu Aderlass führen, wie die Gesund-heitskosten noch mehr den Versicherten aufladen können, kommt über den Nachrichtenticker Neues.
Ihr wisst, dass die 90% der Bevölkerung, die sozialversichert sind, immer größere Anteile selber bezahlen müssen? Ihr wisst, dass diese in vielen Arztpraxen als Menschen 2. Klasse behandelt werden?

Nun meint Rösler, da diese ganzen Zumutungen reibungslos in der Bevölkerung durchgegangen sind, dass er die Patienten der gesetzlichen Kassen zur Vorkasse für Behandlungen führen wolle, nach dem Beispiel der privaten Kassen. So wolle er die gesetzlichen Kassen „attraktiver machen“.

Außerdem sollen die Besserverdie-nenden nun leichter und schneller zu den privaten Kassen überwechseln dürfen. Was soll werden, wenn in den gesetzlichen immer mehr Menschen mit prekären Arbeitsverhältnissen sind und die anderen sich dann privat versichern können?

Es scheint wohl um die Zerschlagung der gesetzlichen Versicherungen zu gehen. Hier wird nun aber überdeutlich, dass seine Gesundheitspolitik eine Klien-telpolitik für die privaten Versicherungen ist.

Ob die WählerInnen von schwarzgelb sich dies alles so gewünscht haben, wie es nun in ihrem Namen gemacht wird?

Natürlich wird es dadurch nicht besser für uns, die versicherten. Diese Reform würde die Versicherten monatlich 180 Euro kosten, lese ich. Schon tummeln sich die privaten Kassen, um den Gesetzlichen so manche Zusatzversicherungsangebote anzubieten. Die sind sicher klug ausgedacht, nämlich dass man für seine Erkrankungen nicht so einfach etwas bekommen wird. Die Privaten benötigen doch ihre Rendite. (Und da schweigen die Vögelein im Walde).
 

 Über allen Gipfeln
Ist Ruh’
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde
Warte nur, balde
Ruhest Du auch.

Johann Wolfgang von Goethe


Die Gesundheitskosten sind ja schon länger in Diskussion. Und dazu hat sich auch schon früher nichts gerührt. Selbstverständlich steigen sie, wie auch die anderen Kosten. Und das war auch schon immer so. Nur früher einmal sind auch die Löhne gestiegen, und dadurch auch die Renten und die Eingänge in die Sozialversicherungen. Und wie es nun ist, können die privaten Kassen frech behaupten, mit ihnen ginge das besser. Dies ist aber absout nicht richtig, und wer rechnen kann, weiß dies auch. Eine Bürgerversicherung wäre besser, um die Probleme mit der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu lösen.

Und heutzutage? Die „Kosten“ steigen überall, besonders die, die an die kleinen Leute weitergegeben werden können.

Die Lohnkosten aber steigen über-haupt nicht, und so können die Kosten auch über den Lohn an die kleinen Leute weitergegeben werden, indem er nicht mehr angepasst wird. Die Folge ist, dass auch die Renten nicht mehr angepasst werden und die Einnahmen der gesetzlichen Versicherungen nicht mehr reichen.

Sicher, Herr Rösler sagt, für arme Menschen würde dann schon vom Staat aus gesorgt. Glaubt Ihr das? Die Sätze werden dann so geschnitten sein, dass kaum jemand etwas bekommt. Das ist wohl sicher.
 
Mieten
„Man bekommt die Mieter heute so schlecht aus den Wohnungen“, klagen so manche Haus- und Woh-nungsbesitzer und verweisen auf so-genannte Mietnomaden.

Die gibt es natürlich. Aber das Gros der regelmäßig zahlenden Mieter können nichts dafür. Was ist denn, wenn das immer knapper werdende Geld weg ist, bevor man das Geld dem Vermieter überwiesen oder ausgehändigt hat? Wird man dann obdachlos?

Viele Mieter können sich die Innen-stadtmieten nicht mehr leisten und müssen in die unbeliebten Vorstädte ziehen, das schreiben derzeit die po-pulären Medien.

Außer den Mieten muss man ja noch die Umlagen zahlen, dort besonders die Energiekosten und die teure Heizung.

Der Staat, die Bevölkerung, die Wirtschaft, alle verbrauchen Energie und die ist teuer. Also soll gespart werden. Und durch den Umbau von Mietwohnungen können Heizungskosten gesenkt werden. Der Umbau darf, das verkündete Frau Merkel, auf die Mieter abgewälzt werden, die hätten schließlich weniger Heizkosten.

Und wenn die Mieter die Miete nicht mehr bezahlen können und in die Vorstädte ziehen müssen, nehmen sie dann die Dämmplatten usw. einfach mit?
 
Laufzeiten
Die von Rotgrün mit der Atomenergie ausgehandelten Restlaufzeiten waren recht lang, aber es gab die Hoffnung, dass der Ausstieg aus dieser unverantwortlichen Technologie greifbar wurde. Noch ist keiner der Reaktoren in unserer Region durch einen GAU zur Katastrophe geworden. Offensichtlich ist es möglich, die Energieversorgung durch erneuer-bare Energie sicherzustellen.
Doch durch die jetzige Verlängerung der Laufzeiten ist eine völlig neue Situation entstanden.
 
Viele der Kraftwerke müssten mit neuen Sicher-heitseinrichtungen ausgerüstet werden, was den Konzernen offensichtlich „zu teuer“ ist. Anstatt sie nun abzuschalten wenn dies so ist, scheint die Regierung darauf zu verzichten, diese Sicherheitseinrichtungen nachrüsten zu lassen. Auch hat die Regierung offensichtlich die Summe der Steuern reduziert, die von diesen Konzernen abgeführt werden sollen.

Die Milliardengewinne kommen also den vier Monopolisten zugute und das wars. Wo und wie die Endlagerung der Atomabfälle stattfinden soll, ist offensichtlich nicht die Sorge dieser Konzerne. Diese Übereignung von Zukunftsaussichten an Gewinninteressen ist zutiefst undemokratisch und widerspricht allen wohltönen-den Reden über Demokratie und Freiheit und der Zukunft der nachwachsenden Generationen.
 
Was ist zu erwarten?
Angesichts dieser Politik in ihrer Ganzheit und dass dies ganz offen unverschleiert geschieht, ist nicht zu erwarten, dass die gesamte Bevölkerung still zusieht, mit immer weniger Mittel zurechtkommen wird, weil die Rendite steigen soll. Und der Mittelstand, der überwiegend von den Gehältern der Menschen lebt, wird damit auch nicht zufrieden sein. Daher ist für den Herbst und danach mit größeren Protesten als Stuttgart 21 zu rechnen. (js)
 
 LITURGIE VOM HAUCH
Von B. Brecht
 
Einst kam ein altes Weib einher
Die hatte kein Brot
zum Essen mehr
Das Brot, das fraß das Militär
Da fiel sie in die Goss´,
die war kalte
Da hatte sie keinen Hunger mehr.
Darauf schwiegen die Vöglein
im Walde
über allen Wipfeln ist Ruh
In allen Gipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.
 
Da kam einmal
ein Totenarzt einher
Der sagte:
Die Alte besteht auf ihrem Schein
Da grub man die hungrige Alte ein
So sagte das alte Weib nichts mehr
Nur der Arzt lachte noch
über die Alte.
Auch die Vöglein schwiegen
im Walde
über allen Wipfeln ist Ruh
In allen Gipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.
 
Da kam einmal
ein einziger Mann einher
Der hatte für die Ordnung
keinen Sinn
Der fand in der Sache
einen Haken drin
Der war eine Art Freund
für die Alte
Der sagte, ein Mensch
müsse essen können, bitte sehr
Darauf schwiegen die Vöglein
im Walde
über allen Wipfeln ist Ruh
In allen Gipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.
 
Da kam mit einemmal
ein Kommissar einher
Der hatte einen
Gummiknüpel dabei
Und zerklopfte dem Mann
seinen Hinterkopf zu Brei
Und da sagte auch
dieser Mann nichts mehr
Doch der Kommissar sagte,
daß es schallte:
Und jetzt schweigen die Vöglein
im Walde
über allen Wipfeln ist Ruh
In allen Gipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.
 
Da kamen einmal
drei bärtige Männer einher
Die sagten, das sei nicht eines einzigen Mannes Sache allein.
Und sie sagten es so lang,
bis es knallte
Aber dann krochen Maden
durch ihr Fleisch in ihr Bein
Da sagten die bärtigen Männer nichts mehr.
Darauf schwiegen die Vöglein im Walde
über allen Wipfeln ist Ruh
In allen Gipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.
 
Da kamen mit einemmal viele Männer einher
Die wollten einmal reden
mit dem Militär
Doch das Militär redete
mit dem Maschinengewehr
Und da sagten
alle die Männer nichts mehr.
Doch sie hatten auf der Stirn
noch eine Falte.
Darauf schwiegen die Vöglein
im Walde
über allen Wipfeln ist Ruh
In allen Gipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.
 
Da kam einmal ein
großer roter Bär einher
Der wußte nichts
von den Bräuchen hier,
das brauchte er nicht als Bär.
Doch er war nicht von gestern
und ging nicht
auf jeden Teer
Und der fraß die Vöglein
im Walde.
Da schwiegen die Vöglein
nicht mehr
über allen Wipfeln ist Unruh
In allen Gipfeln spürest du
Jetzt einen Hauch.

(Hauspostille, Erste Lektion: Bittgaenge, 1924)
 
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