104. Print-Ausgabe, Herbst-LUST 2010
 
Religiöse Lesben und Schwule
Müssen wir uns zu religiöser Homophobie verhalten und wenn ja, wie? Sind religiöse Lesben und Schwule hier gute BeraterInnen oder eher nicht?
 
Zuerst einmal: Was jede und jeder unserer Szene weiß, die Menschen unserer Szene sind nicht einer Meinung und verfolgen in der Regel auch persönlich, sozial und politisch keine gemeinsame Ziele. Und so gibt es Lesben und Schwule, die keiner Religion anhängen, wohl die meisten, aber eben auch solche, die unterschiedlich religiös sind. Warum auch nicht?

Uns in der Szene verbindet eigentlich nur ein eventuell existierendes sexuelles Interesse aneinander, vielleicht auch der gegenseitige Wunsch nach einer Bindung. Seltener entstehen Freundschafts- und Freizeitcliquen in der Szene. Darüber hinaus verstehen wir uns näher durch die gemeinsame Ausgren-zung oder Verfolgung, aber auch dies wird in Zeiten, wo man genauer hinschauen muss, um Diskriminierungen zu erkennen, unterschiedlich wahrgenommen und sie finden gegenüber unterschiedlichen Menschen unserer Szene auch unterschiedlich statt.
 
Müssen wir uns zu religiöser Homophobie verhalten und wenn ja, wie?

Die Lesben- und die Schwulenbewegung hat in allen Ländern, in denen es sie gibt, die Aufgabe übernommen, sich dafür einzusetzen, dass homosexuelle Menschen auf die Art unbehelligt leben können, die ihnen nach Lage der Dinge möglich ist und den betreffenden homosexuell lebenden Menschen lebenswert erscheint.

Die Szene ist nicht identisch mit der Bewegung, die Szene hat sich in der Subkultur einer Minderheit eingerichtet und existiert in der Nische, die ihr die Mehrheitsgesellschaft lässt oder zuweist, ganz wie es ihr beliebt. Viele Menschen in der Szene leben, wie sie es eben können, in den Tag, ohne sich Gedanken über die Zusammenhänge der Homophobie gegen uns zu machen, wie sie sich im öffentlichen Bereich, in den Medien und dadurch ermutigt im zwischenmenschlichen Bereich zeigt.

In der Bewegung haben sich Schwulen und Lesben gefunden, die sich aus unterschiedlichen Gründen für unsere Rechte engagieren. Sie setzen sich, oftmals unter Risiken, für unsere Belange ein. Die Bewegung zeichnet sich dadurch aus, oder sollte es zumindest, dass ihre engagierten Mitstreiter sich um die Erfahrungen kümmern, die andere schon gemacht haben, um das Wissen sachkundig machen, dass für uns erworben wurde, um sinnvoll urteilen zu können und nicht immer wieder gleiche Fehler zu machen.

Eindeutig scheint zu sein, dass die hasserfüllte Verfolgung lesbischer und schwuler Lebensart nicht ursprünglich von Staaten und Regierungen stammt, sondern von Religionen bzw. Religionsgemeinschaften, die oft großen Einfluss auf die Gesellschaft und so auch auf den Staat mit seinen Gesetzen haben. Es können auch Ideologien mit religionsähnlichem Anspruch sein. Daher ist der Umgang der Religionen mit Homosexuellen bzw. Homosexualität nicht nur eine Angelegenheit der homosexuellen Mitglieder der betreffenden Religion, sondern aller Menschen der Gesellschaft, besonders der homosexuellen Menschen.

Man könnte nun darüber nachdenken, warum sich die Religionen mit der Gleichstellung der Frau und der Anerkennung homosexueller Menschen so schwer tun und sie oftmals zur Speerspitze der homophoben Eiferer gehören. Dazu wurde in unserer Bewegung schon gearbeitet, darüber wurde auch schon viel geschrieben. Wichtiger ist es aber für die Fragestellung dieser Betrachtung, damit umzugehen.
Da religiöse Homophobie in die Gesellschaften ausstrahlt, da die Folgen die religiösen wie nicht religiösen oder anders-religiösen Menschen betreffen, müssen wir uns als Bewegung dazu verhalten.

Religiöse Homophobie bringt 1. homosexuelle AnhängerInnen dieser Religion in ein Dilemma, denn sie behindert deren Coming-out, indem sie Schuldgefühle erzeugt. Religiöse Homophobie bringt 2. nicht-homosexuelle Menschen in ein anderes Dilemma, wenn sie sich selber nicht homophob verhalten möchten, beispielsweise wenn sie homosexuelle Bekannte oder Verwandte haben oder wenn sie Menschenfreunde sind. Religiöse Homophobie bestärkt aber auch 3. religiöse und nichtreligiöse Menschen in ihrer Homophobie. Das alles sagt uns, dass wir uns dazu verhalten müssen.
 
Aber wie?
Es macht keinen wesentlichen Sinn, wenn sich ein religionsfreier Mensch mit einem homophoben Menschen, der an anti-homosexuelle religiöse Aussagen glaubt, in einen Meinungsstreit über die religiöse Wahrheit in diesen Aussagen einlässt. Das kann ein homosexueller Mensch dieser Religion, der sich in diese Fragestellung eingearbeitet hat, sicher besser. Der würde aber für diesen Zweck unsere Unterstützung benötigen, soweit wir ihm helfen könnten und er das will. Und das könnte nur er selber entscheiden. Auf jeden Fall wäre für ihn hilfreich, wenn wir in unseren Medien über die einseitige homophobe und somit menschenrechtsverletzende Auffassung ausführlich berichten.

Auch religionsfreie homosexuelle Menschen müssen sich mit solchen Aussagen dieser Religionen beschäftigen, denn für sie ist es wichtig, zu verstehen, woher die ideologische Rechtfertigung ihrer Bedrohung kommt.

Die Arbeit der Bewegung besteht in diesem Zusammenhang vorrangig darin, den Einfluss der Religionen auf den Staat, seine Gesetze und Einrichtungen möglichst zurückzudrängen, was letztlich auch den unterschiedlichen Religionen nutzt, weil der Staat dann eine Art neutrale Institution ist und so auch ihr Recht gegenüber anderen Religionen verteidigt, an ihre eigene Religion zu glauben beziehungsweise nach deren Regeln zu leben.

Dies bedingt auch, dass das individuelle Recht der Entscheidung des einzelnen gegenüber den Religionsgemeinschaften, den gesellschaftlichen Sittenwächtern und den Familienverbänden zu verteidigen ist. Dieses Recht ist bei uns zwar gesetzlich gesichert, aber über die Gesetze hinaus muss es auch noch in den gesellschaftlichen Strukturen einen Rahmen geben, der es einzelnen Menschen ermöglicht, seine Rechte auch wahrzunehmen. Beson-ders bei Familien migrant-ischer Minderheiten ist dies allzuoft fraglich.
 
Sind religiöse Lesben und Schwule hier gute BeraterInnen oder eher nicht?
Diese Fragestellung ist von sich aus gegenüber religiösen Lesben und Schwulen schon anmaßend, weil hier intendiert ist, dass ein Mensch alleine deshalb nicht gut für unsere Arbeit wäre, weil er religiös ist.

Religiös sein bedeutet aber aus meiner Sicht, an ein Überwesen zu glauben und dass es angeblich durch dieses Überwesen höhere Regeln gibt, die wichtiger sind als die von Menschen gemachte Regeln.

Und da zu diesen Regeln ihrer Religion auch mehr oder weniger intensiv die Ablehnung der Homosexualität gehört und sie diesen Punkt nicht so eng sehen, stellen sie selber notgedrungen, oft unter Schuldgefühlen, ihre eigenen menschlichen Regeln über die religiösen Regeln, die sie verehren.

Aus meiner Sicht sind alle Regelwerke des Zusammenlebens natürlich menschlichen Ursprungs und hinter ihnen stehen menschliche Erkenntnisprozesse, finden wir auch Dokumente menschlicher Unkenntnis beziehungsweise die Wahrnehmung politischer Interessen von früher und heute und individuelle Bedürfnisse des Verkünders solcher Regeln. Dennoch: Ohne eine gewisse Ethik können wir nicht in einer menschlichen Gesellschaft leben. Doch diese muss nicht derat hierarchisch sein wie eine religiöse Ethik.

Auf jeden Fall können wir trotz entgegengesetzter Auffassungen zu Frage der Religionen feststellen, dass wir einen nächsten notwendigen Schritt gemeinsam gehen können, um die religiöse Homophobie zurückzudrängen.

Ein großes Interesse, mit religiösen Menschen über ihre oft recht bizarren religiösen Vorstellungen zu diskutieren, haben religionsfreie Menschen nicht, und es macht auch keinen Sinn, weiter zu diskutieren, wenn wir den Satz hören: “Daran glaube ich aber”. Dies beschreibt eine Tatsache und nur der Betreffende hat die Möglichkeit oder den Willen, oder eben nicht, daran etwas zu ändern.

Wenn religiöse homosexuelle Menschen in religiösen Organisationen gegen Homophobie eintreten, ist das höchste, was sie erreichen können, dass die Homophobie in milderen Formen beziehungsweise subtiler verläuft, was nicht unbedingt besser ist. Vielleicht ist es ihnen aber unter solchen Bedingungen möglich, homosexuell und religiös bzw. konservativ zu bleiben. Ist ihnen damit wirklich geholfen? Vielleicht so lange wie sie selber es so sehen.

Lesben- und Schwulengruppen in Kirchengemeinden oder in konservativen politischen Parteien machen diese Kirchen und Parteien nicht zum geachteten Teil der Lesben- und Schwulenbewegung.

Natürlich werden wir mit religiösen PartnerInnen zusammen nicht zugunsten einer aufklärerischen humanistischen Ethik gegen die Religionen selbst vorgehen können, und auch bei dem emanzipatorischen Thema, eine strikte Trennung zwischen Religionen und Staat zu erreichen, werden wir uns wohl mit ihnen zerstreiten. Denn wer an die „Wahrheit” einer beliebigen Religion glaubt, wird nicht unbedingt die Notwendigkeit erkennen, diese Religion am Einflussnehmen zu hindern.

Er kann uns aber auch nicht garantieren, dass homophobe religiöse Kräfte auf Dauer daran zu hindern sind, uns neuen Schaden zuzufügen. Aber, wir können ihm eben auch nicht garantieren, dass uns nach dem Zurückdrängen religiöser Macht die sich konstituierende weltliche Macht unbehelligt leben lässt.

Die Lesben- und Schwulenbewegung weiß allerdings aus Erfahrung und Beobachtung der Vergangenheit und Gegenwart, dass die Wahrscheinlichkeit der Verfolgung homosexueller Menschen unter der Bedingung religiöser politischer Macht ungleich größer ist.
Unter aufgeklärter weltlicher Herrschaft ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass wir mit einigem Geschick das unbehelligte Leben für Lesben und Schwule erreichen, wie auch zunehmende Demokratisierung der Gesellschaft und die Gleichstellung der Frau unter einer weltlichen Macht besser erreichbar scheint als unter religiöser Führung.

Wenn sich die weltliche Macht jedoch irgend einer Ideologie als Ersatzreligionen bedient, ist es wahrscheinlich, dass man sozusagen vom Regen in die Traufe gerät.
 
Schlussfolgerung
Dass es Menschen unterschiedlicher Religionen oder Weltanschauungen gibt, ist einfach eine Tatsache. Dass man mit emanzipatorischen Zielen unter bestimmten Bedingungen ganz gut voran kommen kann, können wir gerade beobachten.

Das Bekämpfen von Homophobie in allen Strukturen der Gesellschaft ist zwar unser vorrangiges Ziel. Keine gesellschaftliche Institution, zum Beispiel die Ehe, darf ho-mosellen Partnerschaften verwehrt bleiben. Aber es bleibt auch fraglich, ob eine so genannte Hete-rosexualisierung der homosexuellen Lebensformen uns tatsächlich ein lebenswertes Leben als Homosexuelle beschert.

Eine Ehe ist nicht nur eine Einrichtung eines Liebespaars, sondern auch eine juristische sowie soziale Einrichtung, die ihre Grundlage im Wunsch des Staates hat, Kinder, alte Menschen und anderen pflegebedürftige Menschen durch Verwandte der Herkunftsfamilie kostenlos versorgen zu lassen.

Das Infragestellen der traditionellen Formen des Zusammenlebens der Menschen gehört zu den weiterführenden Schritten unserer Bewegung, um Lebensformen unter uns zu entwickeln, die uns besser gemäß sein können.

Was Teile der Frauenbewegung gegenwärtig diskutieren, könnte uns ebenfalls interessieren. Nach der Phase der Gleichstellung in den 70er und 80er Jahren und der Phase der Differenz in den 80er und 90er Jahren wird nun über die Dekon-struktion diskutiert, also das Hinterfragen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Gegenwärtig findet allerdings schleichend in der Gesellschaft eher die Restauration der traditionellen Geschlechtsrollen statt.
 
Was könnte eigentlich unser Fernziel sein?
Einen gesellschaftlichen Zustand zu erreichen, in der das Zusammenleben keine Vorgaben hat, die als selbstverständlich angesehen werden. Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, mit jedem mündigen Menschen seiner Wahl so lange und so intensiv zusammenzuleben, wie es den Betroffenen gefällt, ohne dass sich irgendjemand einmischt.

Menschen die noch nicht oder nicht mehr mündig sind, sind von der Gesellschaft zu versorgen.

Wenn jemand seinen Wahlpartner, seine Herkunftspartner oder seinen Abkömmling selber versorgen möchte, steht ihm dafür gesellschaftliche und finanzielle Hilfe zu. Schon heute sprechen wir in unserer Szene über unsere Herkunftsfamilie und über unsere Wahlfamilie, wir sprechen auch über unseren Lebenspartner oder unseren Lebensabschnittspartner. Schon heute zeigt sich in Untersuchungen, wie lesbische und schwule Partnerschaften im Gegensatz zur Ehe strukturiert sind.

Aber zuerst haben wir uns gegen alle Formen der Homophobie zu wehren. (js)
 
 Katholisch Update
Eine Initiative für die Akzeptanz von Schwulen
und Frauen und für mehr Demokratie
 
Es ist an der Zeit, Bilanz zu ziehen: angesichts des desaströsen Umgangs mit den Missbrauchsfällen und deren Vertuschung und angesichts der ewig gestrigen Haltung der Katholischen Kirche, deren Leibfeindlichkeit und Verdammung der Sexualität generell und der Homosexualität im Besonderen eine lange und traurige Tradition hat. Eine erste Antwort darauf haben wir auf dem CSD gegeben Gays are welcome. Wie im Himmel so auf Erdeng.
Für unsere neue Initiative haben wir Inspirationen bekommen in den Diskussionen über die Rolle von Sexualität und Liebe in der katholischen Kirche, durch Themen -Veranstaltungen und Gespräche auf dem ökumenischen Kirchentag und durch die alltägliche Erfahrung von Schwulen und Frauen in den katholischen Gemeinden und im Umgang mit den Bischöfen, die häufig von mangelndem Respekt und Diskriminierung und sogar auch von Arroganz geprägt waren.
Schwule und Frauen wurden in der Geschichte und werden auch heute noch von der Katholischen Kirche als Menschen zweiter Klasse behandelt. Es ist Zeit für die volle Akzeptanz von Schwulen und Frauen in der katholischen Kirche, für die Einführung des Frauenpriesteramtes und für die freie Wahl des Zölibates.
Die Zeit ist reif für die Schaffung einer neuen katholischen Konstitution der Hoffnung, die es den Gläubigen ermöglicht, als mündige Bürger Verantwortung für ihre Kirche zu übernehmen, sei es in mit neuer Macht ausgestatteten Synodalräten oder/und in neu zu schaffenden demokratisch inspirierten Gremien, in denen Klerus und Kirchenvolk gemeinsam die Geschicke der Kirche bestimmen.
Tausende zum Priesteramt berufene Menschen warten auf eine Reform der katholischen Kirche. Ein großes und wunderbares Potential von Frauen und Männern steht bereit.
 
Die Initiative Katholisch Update lädt Schwule, Frauen und andere Engagierte ein zu einem ersten Treffen am Montag dem 18. Oktober 2010 um 20.00 in den Versammlungsraum der AHF, 2. Etage, Friedberger Anlage 24, 60316 Frankfurt.
 
Hans-Peter Hoogen, Joachim Neethen, Stefan Diefenbach
Kontakt unter: HPHFG@aol.com und 069-5972759
 
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