104. Print-Ausgabe, Herbst-LUST 2010
 
Gesprächskultur
„Wir können hier richtig deutsch diskutieren, wir haben Verbandszeug im Hause ...“, klingt mir noch der mit einem Schlagzeug begleitete Singsang des Kabarettisten Wolfgang Neuss im Ohr. Ist unsere Gesprächskultur so unterschiedlich von der in anderen Ländern?
 
Da war eine Dokumentation aus Ruanda, also dem afrikanischen Staat, in dem es vor einigen Jahren noch gegenseitigen Völkermord zwischen den Hutu und den Tutsi gab. Hierc wurde eine Fernseh-Debatte um irgendein Thema gezeigt. Niermand fiel dort einem anderen ins Wort, alle konnten ausreden. Niemand versuchte dort dem Mei-nungsgegner duch Grimassen usw. verächtlich zu machen oder seine Rede herabzuwürdigen oder anders zu kommentieren, sondern jede/r wartete ab, bis er oder sie dann drangenommen wurde.

Im Fernsehen in Deutschland, dem wichtigsten Massenkommunikationsmedium unserer Zeit, bekommt man z.B. bei Illner oder Will vorgeführt, wie man in einer Runde am Thema interessierter Menschen divergierende Meinungen zu irgend-einem Thema im Meinungsstreit austauscht. Und dann die Realität und die Wirklichkeit eines Herrn Blasberg. Vorbereitete Filme interpretieren die Arbeit der Diskussionspartner derart einseitig in irgendeine Richtung, sodass der dann nur noch als Watschenmann dort rumsitzen kann. Wer dort hingeht muss Masochist sein oder dafür bzw. dadurch viel Geld verdienen.

In der Talkshows des privaten deutschen Fernsehens aber eben auch des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, passiert all das, was als Beispiel herhalten kann, wie man eigentlich eine Sachdis-kussion nicht führen sollte.

Und alle spiele mit: die Inszenierung, die Kamera-führung, die Moderation, alle bemühen sich nach Kräften, ganz bestimmte Diskussionsteilneh-merInnen ganz gut ihre Plattheiten ständig zu wiederholen, andere werden gehindert, überhaupt einen vollständigen Satz sagen zu können.
Und da man immer auch Parteipolitiker dabei hat, die ja die Politik ihrer Partei zu verteidigen bzw. zu loben haben, bekommt das ganze etwas völlig Unwirkliches.

Sitzt zum Beispiel jemand von der Union unter den Diskutierenden, dann sitzen ihm noch einige „Sachverständige“ zur Seite, Leute, die ihn mit verteilten Rollen unterstützen. Da wäre zum Beispiel ein ach so neutraler Journalist, bei-spielsweise Jörges, vom Stern (früher mal SPD-nah, heute eher konservativ).
 
Neben ihm Arnulf Baring (früher mal SPD) als weißhaariger Kra-wallmensch, der andere gut unterbrechen und niederschreien kann und der sich als Zeithis-toriker und somit als Sachverständiger ausgibt. Vielleicht noch eine leise Dame mit unschuldigem Augenaufschlag, sie tritt als Bodenhaftung der Konservativen auf und bringt ganz einfach die härtesten und irrationalsten Anschuldigungen und Theorien, die sich kein anderer der Runde zu sagen traut aber wohl auch denkt..

Dieser ganzen Gruppe sitzt ein einzelner Gewerk-schaftler oder jemand von der Partei die LINKE gegenüber. Ihn zu verteidigen gibt es noch einen Sozialdemokraten, der ihm immer passend und gekonnt in den Rücken fällt und ein Mönch oder Pfarrer, der das Gute auch in diesem Menschen anmahnt.

Über dem allen sitzt dann die Moderatorin. Offensichtlich hat sie vom Sender den Auftrag, so zu moderieren, dass die ach so klugen Argu-mente des konservativen Parteimenschen nicht zu kurz kommen und dass der Gewerkschaftler oder Linke nicht die Chance bekommt, „für seine wirren Ansichten“ auch noch ein Bein auf den Boden zu bekommen.
 
Offensichtlich ist für sie der schlimmste GAU, wenn die Argumentation des Linken auch noch überzeugend rüberkommt, denn sie unterbricht ihn ständig mitten im Satz, beispielsweise um hier auch einen vorbereiteten Film einzuspielen oder um die jungen Frau mit dem unschuldigen Blick dranzunehmen. So wird versucht, aus einer recht überzeugenden Kritik an der konservativen Politik ein wirres Gestammel zu machen.

Jörges scheint dauend auf der Lauer zu sein, um sofort, wenn der Linke ooder der Sozialdemokrat was sagt, dazwischenzurufen „Unterbrechen sie mich nicht!“, oder „lassen Sie mich ausreden!“, um dann natürlich recht laut zu sagen, was er für sinnvoll hält, und zwar so laut, dass er die Mode-ratorin übertönt. Er kann auch ganz gut der „Beschützer der Armen“ sein, indem er erklärt, was der Vorredner oder die Vorrednerin eben gemeint habe.

Baring arbeitet ganz gut mit Gefühlsaubrüchen, bei denen er nicht zu stoppen ist. Und wenn er dann schreit „Sie lügen, das machen sie schon ihr ganzes Leben“, lässt man das durchgehen, weil es ja in Erregung gesagt wurde und weil manche glauben, dass da was wahres dran ist. Immer erweckt ein Kritiker einer angeblichen Lüge oder gar eines Verbrechens den Anschein, dass er immer legal sei und nie lügen würde.

Wenn man solches sieht, fragt man sich doch, wozu denn der Gewrkschaftler oder der Linke überhaupt eingeladen wurde.

Das ist doch klar. An irgendeiner Sache oder irgendeinem Menschen müssen sich die Betei-iigten doch abarbeiten. Sie können doch ihre Gegenpositionen nur formulieren, wenn der Ge-werkschaftler seine Position gesagt haben könnte, auch wenns gar nicht seine Position ist, die er dennoch vielleicht gesagt haben könnte, wenn man ihn zu Worte kommen ließe.
Wo sind die Regeln der Fairnis in einer Debatte, wie dies noch in manchen Schulen gelehrt wird? Dies sei ein Teil unserer Gesprächskultur?

Wo ist der Moderator, der dafür zu sorgen hat, dass alle Beteiligten die Möglichkeit haben, ihre Position zu erläutern, damit der mündige Zu-schauer die Möglichkeit hat, sich selber ein Bild zu machen?

Das wäre aber gar nicht mehr unterhaltend, mag der Intendadnt antworten, während er an seine Einschaltquoten denkt. Und an den Anruf aus der CDU, wo ihm vorgeworfen wird, dass diese Sendung zu parteiisch gewesen sei, weil der Gewerkschaftler viel zu lange im Bild gewesen sei, während er sprach, da hätte man doch länger das verächtliche Gesicht des konservativen Politikers zeigen sollen. (js)
 
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