- 103. Print-Ausgabe, Sommer-LUST 2010
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- Sie verlassen das sinkende Schiff
Die schwarzgelbe Koalition gerät in die Situation, über
die üblichen Sprechblasen hinaus, die man schon kennt, Flagge
zu zeigen, und schon kriselt es dort überall.
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- Als Roland Koch ankündigte, demnächst
seinen Ministerpräsidentenposten von Hessen aufzukündigen,
hatte ich gemischte Gefühle. Was hatte der nicht alles angestellt
und Tabus gebrochen, um diesen Posten von Eichel zu ergattern.
Das war kurz nachdem Schröder Kanzler geworden war. Wir
verstanden dies als einen perfiden Abbau der Kanzlerschaft Schröders
noch innerhalb der ersten 100 Tage.
Und dann die vier SPD-Abgeordneten, die Ypsilanti verhinderte.
Einige haben dann angeblich Posten von Koch erhalten.
Und jetzt schmeißt der so einfach hin? Was steckt denn
dahinter, fragte ich mich. Und ich überlegte mir, dass sein
Nachfolger ja ein anderes Image haben könnte und nicht so
ein prächtiges Feindbild abgeben könnte wie Koch.
Da kommt mein Thomas zu mir ins Arbeitszimmer und sagt; Sag
mal, haben wir gerade den 1. April? Was? denke
ich, was will er mir denn gerade sagen? Da redete er weiter.
Der Sparkassenpräsident ist gerade vom Bundespräsidentenposten
zurückgetreten. Ich konnte es nicht glauben und machte
im Redak-tionszimmer das Radio an.
Tatsächlich. Ich mache die Glotze an und da steht er, nimmt
seine Lesebrille aus der Tasche, schaut auf seinen Zettel und
liest: Mit sofortiger Wirkung. Und der ganze Tross
der KommentarorInnen, die der Kanz-lerin nach dem Mund reden,
bevor sie etwas gesagt hat, bemüht sich, den Köhler
für gaga zu erklären. Was für ein seltsames Spiel.
Sind das Flügelkämpfe innerhalb der CDU? Versucht der
etwas sozialere Flügel die Rechten zu verdrängen? Danach
siehts nun nicht gerade aus. Eher im Gegenteil vielleicht, die
karrierebewussten Rechten verlassen die Merkel?
Bei der Bundespräsidentenwahl stimmten derart viele Koalitionsangehörige
gegen den Kandidaten der Union, dass man das beinahe vermuten
könnte. Es geht also gegen die Kanzlerin.
Richtig antworten mir darauf die Kanzlerinnenjubelmedien
und daher kann es dann wohl doch nicht so sein.
Naja im dritten Wahlgang wurde er dann ja Präsident, der
brave Parteisoldat, von dem solche Unsicherheiten nicht zu erwarten
sind. Aber wollte sie denn den Wulff weghaben, indem sie ihn
wegbefördert hat? Jetzt muss er so tun, als ob er über
den Parteien steht und damit ist er weg. Viel zu sagen hat er
nun nicht, und wenn er sich räuspert wird dies in den Medien
als staatsmännischer Akt gewertet.
Wenn es um Flügelkämpfe geht, dann kann es nicht der
rechte Flügel sein, den sie weghaben will, falls es von
ihr aus geht. Aber Koch ist doch ein Mann des rechten Flügels
gewesen, nach seinen Reden, oder vielleicht doch nicht?
Gut, Koch hätte es wahrscheinlich in Hessen nicht noch einmal
geschafft, dachte ich mir. Und Köhler hat Wahrheiten über
die Auslandseinsätze der Bundswehr gesagt, die nicht in
die übliche Propaganda passen. Es war wohl ein zufälliges
zeitliches Zusammentreffen von vielen Merkwürdigkeiten im
Sommerloch 2010. Wulff ist kaum gewählt, da
sagen und schreiben die ganzen unionsnahen Blätter, dass
er schon jetzt ein guter Präsident sei, der schon jetzt
in der Bevölkerung beliebt sei wie kein anderer.
Na sowas. Ich kenne den Mann gar nicht, der war aus nem anderen
Bundesland und die Tagesschau kommt mit ihrer Hofberichterstattung
auch nicht in jeden Winkel. Wie heißt der neue in Niedersachsen?
Kann ich mir nicht so leicht merken, der Name klingt irgendwie
fremdländisch, zumindest unüblich für eine konservative
Partei. Immerhin haben sich Unionler in vielen Parlamenten immer
über fremdklingende Namen lustig gemacht. Koch im vorletzten
Hessenwahlkampf, daran kann ich mich noch erinnern.
Wo war ich doch gleich? Ach, ich glaube, bei der Bundespräsidentenwahl.
Der Bundespräsident wird ja seit geraumer Zeit immer vom
Kanzler oder der Kanzlerin gewählt. Die andere vollziehen
eher nach.
Und dass die SPD einen FDP-nahen ehemaligen Pfarrer aufgestellt
hatte, ging wohl gegen Merkel und die Linke, die den nun wirklich
nicht wählen konnte.
Erst bekam die Kanzlerin eine rein, durch ihrer eigenen Leute,
die erst später nachvollziehen wollten, dann bekam die Linke
eine rein, indem geschwindelt wurde, dass die Linke daran schuld
sei, dass die Kanzlerin ihren Mann reinbekommen hat. Dabei wars
für die Linke ganz egal, es passten ihr beide nicht.
Das ist wohl das, was bei uns Demokratie genannt wird. Daran
muss sich die Linke wahrscheinlich erst gewöhnen. Und auch
daran, dass unsere Bespitzeler, die den Rammelow überwachen,
nicht Stasi heißen.
Nachdem ich also ins allgemeine abweichende Gedankengeplänkel
verfallen bin, erfahre ich, dass Ole von Beus zurckgetreten ist.
Und der hatte doch wie Koch nur mit anderen Worten um seinen
Posten gekämpft. Er koaliert erst mit der rechten Schill-Partei
und jetzt mit den Grünen. Und dann tritt er zurück.
Was ist denn nun das? Man verliert ganz seine Faden und die Union
sorgt dafür, dass mal wieder nachgerückt werden kann.
Deshalb haben sich die Leute von der LSU neben unserem Stand
beim CSD Frankfurt so widersprüchlich uns gegenüber
verhalten. Vielleicht ist das Nachrücken unterdessen bei
ihnen angekommen?
Seltsam, dass beim Seminar der DFG-VK in Frankfurt Bananen ausgeteilt
wurden. Daran denke ich, obwohl ich über unsere Republik
nachdenken müsste, und zwar darü-ber, was sich hier
so alles noch abspielen wird.
Ich weiß, warum ich hier immer wieder den Faden verliere.
Ob in der Union die Flügelkämpfe sich gegen links oder
rechts richten.
Die Fragestellung ist falsch, da ist überhaupt gar kein
Faden. Ich muss meinen Faden verlieren, weil in dem ganzen Rücktrittsgeschehen
auch kein Faden zu erkennen ist. Wer bestimmt denn auch eigentlich,
dass überall ein Faden zu finden sei? Heutzutage hat doch
niemand mehr irgendeinen Faden, sondern jeder wurstelt sich so
durch und hofft, dass er in seiner Zeit über die Runden
kommt.
Ist es eine Zeitfrage? Will man schnell weg, damit sich andere
damit belasten müssen? Und das Personalkarussell dreht sich
immer schneller?
Übrigens sind ja noch mehr in der Union zurückgetreten
oder sie wurden es. Um was gehts da also eigentlich? Die Union
hat doch direkte Verbindungen mit der Wirtschaft, heißt
es. Hat vielleicht der Gremlitza in seine Konkret-Kolumne recht
und der große Kladderadatsch der Wirtschaft steht näher
bevor als man ahnt? Und man will sich schnell noch verdrücken,
damit andere schuld dran sind? Vielleicht die SPD? Die Kanzlerin
ist auch schon öffentlich in Urlaub gefahren.
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