102. Print-Ausgabe, Frühlings-LUST 10
 
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Bewegt sich was?
Ob die Schwulenbewegung eine ist und ob es eine Lesbenbewegung gibt, darüber haben wir hier dieses Schwerpunktthema in dieser Ausgabe gewählt. Wenn es vielleicht auch die Schwulen- und Lesbenbewegung geben sollte, was ist das und was sollte sie sein?
Zuerst einmal, wir sind für eine gemeinsame Lesben- und Schwulenbewegung, was den Kampf um unser Recht betrifft, so leben zu dürfen und können, wie es für uns am besten ist. Und dies geht am besten in Partnerschaft mit der Frauenbewegung, die sich um die Gleichstellung der Geschlechter in der Gesellschaft bemüht, und das natürlich im In- und (in Solidarität und in Unterstützung) im Ausland.
Es ist jedoch klar, dass von unserer Geschichte her sowohl für die Frauenbewegung als auch für die Homosexuellenbewegung den Hintergrund die linke soziale Bewegung der späten 60er Jahre darstellt, und dass trotz vielfältiger interner Auseinandersetzungen unsere eigentlichen GegnerInnen die konservativen bis Rechtsradikalen sowie die klerikalen politischen Kräfte waren und immer noch sind.
 
Fakten
Aufgrund der konservativliberalen Gesetzgebung in der jungen Bundesrepublik der Nachkriegszeit wurden Frauen wie Menschen 2. Klasse behandelt.

Frauen durften ohne Erlaubnis ihrer Männer nicht berufstätig sein und kein eigenes Konto führen usw. Für lesbische Frauen war also klar, dass ihre Lage nur dadurch verbessert werden könnte, indem sie mit heterosexuellen Frauen zusammen die Lage der Frau in der Gesellschaft ändern mussten, um selber größere Bewegungsfreiheit haben zu können.

Da der deutsche Staat sowohl vor und in der Nazizeit als auch in der Adenauer-Zeit die Schwulen gesetzlich verfolgte, die Lesben jedoch nicht, war die Ausgangsituation für Lesben eben ungleich gegenüber den Schwulen.

Schwule Männer hatten damals die gleichen Freiheiten wie heterosexuelle Männer: Sie konnten frei einen Beruf wählen und ein Konto einrichten usw. Sie konnten aber nicht homosexuell leben.
Homosexualität zwischen den Män-nern stand unter Strafe und es gab einen lästigen weitverzweigten Polizeiapparat, um diese „Straftaten“ ausfindig machen zu können wie die Straftäter zu verhaften.

In der Gesellschaft selber wurde besonders die männliche Homosexualität als sehr schlimm und verabscheuungswürdig angesehen. Da kein homosexueller Mann zur Polizei gehen konnte, gab es zahlreiche Menschen, die zusätzlich noch schwule Männer drangsalierten, mit Erpressungen und gewaltsamen Übergriffen.

Kein Wunder, dass schwule Männer in der Gesellschaft möglichst unentdeckt bleiben wollten.
Als sich aber durch die 68er Revolte, besonders durch die Sexrevolte, die Lage gesellschaftlich zunehmend hoffnungsvoll veränderte, entstanden überall Gruppen und Initiativen unter schwulen Männern, die gar nicht verborgen sein wollten, sondern trotzig für ihre Interessen eintraten.

Unterstützt wurden sie von zahlreichen Wissenschaftlern aller Wissensgebieten, die eben durch die Sexrevolte in den 68ern überhaupt für das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Menschen eintraten.

In einer so breiten vielschichtigen Bewegung wie die 68er Bewegung gab es auch Menschen, die weder die Frauenrechte verbessern wollten noch mit Schwulen zusammenarbeiten wollten.

Gegen diese wandte sich zuerst die Frauenbewegung und die Schwulenbewegung, ohne jedoch die 68er Szene als politische Heimat zu verlassen. Doch schnell fassten die Bewegungen dann Tritt und führten ihre Kämpfe gegen die eigentlichen GegnerInnen der Emanzipation: die Konservativen und die Kirchen.

Viel wurde durchgesetzt. Die Gesetzgebung wurde schrittweise verändert, die juristischen Gleichstellung der Frau ist überall vollzogen, als letztes fielen die Gesetze, die Vergewaltigung innerhalb der Ehe schützten und das Verbot einvernehmlicher mann-männlicher homosexueller Handlungen. Damit ist jedoch noch immer nicht alles zufriedenstellend geregelt.

Lesbische und schwule Partnerschaften sind noch immer nicht in allen Punkten den heterosexuellen Partnerschaften gleichgestellt. Und so muss immer noch in vielen Einzelfragen Stück für Stück um eine Gleichstellung gekämpft werden.

Es geht auch um die gesellschaftlichen Strukturen, in denen die Menschen leben. Als Frau von der Leyen mehr Kinderkrippen einrichten wollte, um Frauen die Möglichkeit der Berufstätigkeit zu erleichten, probte mal wieder die katholische Kirche, besonders Bischof Mixa, den Aufstand.
 
Man erkennt daran: es geht bei der Gleichstellung zwar in erster Linie um die juristische Gleichstellung. Aber wer recht hat muss auch Recht bekommen, die Strukturen in der Gesellschaft müssen es erlauben. Die Kämpfe um gute Strukturen für uns sind noch lange weiterzuführen.

Als es den § 175 StGB noch gab, doch die Sexrevolte mehr Spielraum erkämpfte, glaubten viele in der Szene, dass er weg sei. Es kam auf die Ermittler, Staatsanwälte und Richter an, ob Fahndungen, Verhaftungen und Verurteilungen vorkamen.

Nach dem Anschluss der DDR an die BRD kam es z.B. in Berlin manchmal auf die Straßenseite an, ob eine Straftat stattgefunden hatte, denn in der DDR wurde Homosexualität nicht mehr juristisch bestraft.

Durch die Rechtsangleichung gibt es nun die Bestrafung homosexueller Handlungen nicht mehr.
Nicht in allen Fragen setzte sich das für ArbeitnehmerInnen oftmals großzügigere DDR-Recht durch. Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Es kam auch in der DDR auf die Strukturen der Gesellschaft an, ob man recht bekam, wenn man es juristisch im Prinzip hatte. Und da sah es in vielen Bereichen nun nicht so gut aus. Es gab auch viele Strukturen in der DDR-Gesellschaft, die ein homosexuelles Leben erschwerten.

Das Recht auf Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft, das es in der DDR gab, wurde nun nicht im Westen auch durchgeführt, sondern die Kirchen wie die Konservativen machten dagegen mobil.

Es gab eine gute Zusammenarbeit zwischen der Sprecherin des Unabhängigen Frauenverbandes der DDR, Christina Schenk, und unserer Gruppe. Und so erfuhren wir über ein Telefonat noch am gleichen Tag, dass der § 175 StGB endlich weg war.

Schnell haben wir Plakate gemacht und hängten diese in unserer Szene auf. Doch reagierte man dort recht unterschiedlich.

In einigen Lokalen wurde behauptet, es würde ihn gar nicht mehr geben, was wir denn überhaupt wollten. In anderen lokalen bekamen wir erzählt, wie man ein Plakat richtig gestaltet. Lediglich in einem Stricherlokal in Frankfurt fiel mir der Wirt des Lokals um den Hals und küsste mich, als er es erfuhr. Viel ältere Schwule die in der Szene eher an die Seite gedrängt werden, freuten sich mit uns, dass der verfluchte Paragraph jetzt weg war.

Auch wenn die letzten Jahren nur noch wenige einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Strafe standen, war es wichtig und gut, dass nach 124 Jahren endlich die Strafbarkeit männlicher Homosexualität aus dem deutschen Strafrecht verschwunden war. Es war nämlich nicht mehr wichtig, wie hoch die Strafe für welche „Vergehen“ waren, sondern dass überhaupt bestraft wurde.

Vor Jahren musste sich in Wiesbaden die Wirtin eines schwulen Lokales in Wiesbaden von der Polizei noch sagen lassen, dass dies eben ein Geschäftsrisiko sei, wenn man ein solches Lokal führe. Das wurde ihr gesagt, nachdem die Polizei den Schaden aufgenommen hatte. Das Lokal und seine Gäste sowie die Wirtin wurde von einigen rechten Jugendlichen überfallen, verprügelt und ramponiert. Die herbeigerufene Polizei brauchte mehr als eine Stunde, um vorbeizukommen. Die Täter waren über alle Berge und auch viele Gäste waren dann schon gegangen.

Heute ist die Polizei verpflichtet, uns vor Übergriffen zu schützen. Und es gibt auch nicht mehr die Auf-listungen, wer schwul sein könnte und damit ein potenzieller Straftäter wäre, die sogenannten Rosa Listen.

Die Frauenbewegung wie auch die Schwulenbewegung gibt es in der Form einer Bewegung nicht mehr so richtig. Ihre Ziele sind im Groben auch erreicht. Stattdessen haben sich Organisationen gebildet, die sich um die Einzelheiten kümmern, die noch zu regeln sind.

Es ist nicht verwunderlich, dass aufgrund der Lage in der Gesellschaft die ursprüngliche Schwulenbewe-gung dadurch gegenüber den Lesben im zahlenmäßigen und organisatorischen Vorteil waren, was sich nun schrittweise ändern könnte, da durch den Wegfall des § 175 StGB nun Lesben und Schwule gleichgestellt sind und gemeinsam ihre Interessen vertreten können, wie zum Beispiel die Ehe für lesbische und schwule Beziehungen.

Die Lage ist nun also so geworden, dass die Bereiche, um die noch zu ringen ist, in den meisten Fällen die Lesben und die Schwulen gleichermaßen betreffen. Dies mach die Zusammenarbeit von Lesben- und Schwulenorganisationen notwendig beziehungsweise die Gründung von echten Lesben- und Schwulenorganisationen möglich und auch sinnvoll. (js)
 
Bewegungs-Schach?
Bewegungen entstehen nicht deshalb, weil jemand diese für seine politischen Absichten gerade benötigt. Teile der Bevölkerung geraten deshalb in Bewegung, weil sie 1. den gegenwärtigen Zustand mehr fürchten als die Risiken, die mit ihrem Aufbegehren verknüpft sind und sie 2. eine Chance zur Änderung der Verhältnisse sehen.

Die feministische Partei DIE FRAUEN ist politisch eher bedeutungslos, weil gegenwärtig das Aufbegehren von Frauen gegen ihre Unterdrückung keine große Nahrung in der Realität des Lebens der Frauen findet. Anders ausgedrückt: Die Flammen des Zornes gegen die eigene Unterdrückung finden deshalb bei den Frauen keine gesellschaftlich relevante Nahrung mehr, weil sich die Lage der Frauen in der Gesellschaft deutlich gebessert hat. Im Gegenteil ist der Staat der Unterstützer von Frauen, wenn diese im privaten oder geselschatlichen Bereich benachteiligt werden.

Bewegte Lesben, die für ihre homosexuellen Belange in Anlehnung an die Schwulenbewegung auftreten, gibt es, wenn auch nicht derart zahlreich, dass sie deutlicher in Erscheinung treten können, aber immerhin sichbarer als die Lesben in Frauenprojekten. Sie beziehen ihre Kraft auch aus ihrem eigenen Engagement und dem, was die Schwulenbewegung in ihren Kämpfen gegen Diskriminierung und staatliche Verfolgung errichtet hat.

In gemeinsamen lesbisch-schwulen Projekten sind Lesben wieder sichtbar, doch sind einfach auch mehr Schwule dort anwesend als Lesben, sodass Schwule sichtbarer sind.
Die Lesbenbewegung ist recht klein. Auch die Schwulenbewegung ist schwächer geworden. Das ist nicht verwunderlich, denn hierzulande sind die politischen Ziele der Gleichstellung von Schwulen und Lesben ebenfalls deutlich weitergekommen.

Was geschieht mit Bewegungen, wenn ihre Ziele erreicht sind?
Natürlich sind nicht alle Ziele erreicht, doch da der Druck auf die Masse der Schwulen nachgelassen hat, gibt es weniger Anlass, sich voller Risiken in Bewegung zu setzen.
Die in Bewegung gekommene Masse zorniger Menschen kommt zur Ruhe, die Bewegung fällt nun auseinander. Auch der Nachwuchs bleibt aus. Über die Erlebnisse bei den Auseinandersetzungen reden nostalgisch noch die Veteranen.

Um die noch zu regelnden Belange müssen sich nun solche kümmern, die den Einblick in die Details haben und die in gesellschaftlichen Gremien sitzen, von wo diese Auseinandersetzungen geführt werden können.

Es gibt ein untrügliches Zeichen, dass eine Bewegung an ihr Ende gekommen ist, nämlich dass sich nun feste Strukturen bilden, Vereine und Verbände mit Satzungen, Programmen und gewählten Vorständen usw.

Solche Verbände können, wenn die Verhandlungen um ein elementar wichtiges Detail nicht weiterkommen, versuchen, größere Kampagnen zu führen, um den Druck auf die VerhandlungsgegnerInnen zu erhören. Kampagnen sind aber keine Bewegungen mehr.

Kampagnen haben es an sich, dass sie entweder ins Leere laufen oder gar nicht in Gang kommen oder auf Gegenkampagnen stoßen, denn was der/die eine kann, kann der/die andere das auch. Wenn die Voraussetzungen dazu vorhanden sind, können Kampagnen aus dem Ruder laufen und zu neuen Bewegungen werden, die aber dann ihre eigene Kreativität entwickeln und für den Verband, der das inszeniert hat, nicht mehr von Nutzen sind.

Wer jedoch glaubt, er/sie könne wie ein(e) SchachspielerIn bestimmen, was die Lesben oder Schwulen tun sollen, wird genauso auf die Nase fallen wie viele andere auch, die dies schon erleben mussten. Dann müsste man/frau wirklich Macht haben, die Macht, gesellschaftliche Voraussetzungen zu schaffen, die eine Bewegung begünstigen. Und er/sie müsste auch die wirtschaftlichen Mittel haben, die Medien zu steuern und die Regierungen unter Druck zu setzen.
 
So etwas passiert hier und da, und dies üblicherweise von rechts, zum Beispiel in der Energiepolitik durch die Energiekonzerne oder in der Gesundheitspolitik durch die Pharmaziekonzerne und die privaten Krankenversicherungen und in der Schulpolitik durch bürgerliche Kreise, die über die notwendigen Mittel verfügen. Das sind keine Bewegungen, auch wenn sie dann und wann in den Medien so genannt werden.

Wo stehen wir gegenwärtig? Wir benötigen gegenwärtig verschiedene eigene Strukturen, die in der Lage sind, sich um die Details zu kümmern. Das wären Organisationen, die weit verzweigt sind und wir benötigen auch eine Art Denkfabrik, um die Lage gut zu erkennen und um nicht Spielball anderer Interessen zu werden.

Wäre nun Zeit für eine Bewegung, kämen die Leute von selbst, weil sie es selber so brauchen und Wissenschaftler wie Journalisten würden von sich aus tätig und Opportunisten würden sich dann massenhaft anhängen. Und auch unsere GegnerInnen würden sich dann sammeln und gegen uns antreten. Ihr sehr es selber, so ist es gegenwärtig nicht.

Und was die MigrantInnen betrifft, die in ihren Reihen oft noch Strukturen ihrer Heimatländer haben, die weder den hier zu integrierenden Frauen nutzen noch den hier zu inte-grierenden Schwulen und Lesben, da sind wir Frauenbewegten wie wir Lesben- und Schwulenbewegten in der Situation, dass wir dies nur schaffen können, wenn wir mit BündnispartnerInnen zusammen arbeiten, z.B. Lehrerverbände, die sich das trauen und die einen besseren Zugang zu diesen Gruppen haben als wir.

Oftmals benötigen wir auch die Hilfe der Staatsorgane, nämlich wenn krasse Übergriffe stattfinden. Und wer tritt für uns gegenüber den Staatsorganen auf, wenn es sich mal wieder um einen Fall handelt, der geregelt werden muss und wo man einige Staatsorgane mit der Nase draufstoßen muss? Dass müssen kompetente Verhandlungspartner aus unseren Organisationen machen, die mit einem Auftrag auftreten können. (js)
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