102. Print-Ausgabe, Frühlings-LUST 10
 
„Was daaas alles kostet!“
das ist oftmals zu hören, wenn in den Medien und von demagogischen PolitikerInnen erklärt wird, dass die sozialen Verflichtungen des Staates und der Sozialversicherungen einfach zu hoch seien.
Da wird zum Beispiel erklärt, dass die Menschen ja heutzutage länger leben und daher die Renten von der nachwachsenden Generation nicht mehr zu tragen sei. Es seien einfach zu wenig Kinder gezeugt worden, die das alles zahlen können.
 
Die Argumentation erinnert zunehmend an Ähnlichklingendes aus früheren Zeiten, wenn Gesundheit und Leben von Menschen als Kostenfaktor in Frage gestellt wird.

Und man rechnet uns aus, wie viele RentnerInnen durch die ArbeitnehmerInnen im Jahre 2030 zu ernähren seien und dass dies im Jahre 2050 zusammenbrechen müsste.

Wir wissen ja, dass die Versicherungsleistungen der Rentenversicherungen wegen des Staatsvertrages dann aus der Staatskasse ergänzt werden müssen, wenn eben nicht genügend Arbeitnehmer in gesicherten Arbeitsverhältnissen sind und der Staat nicht genügend dafür sorgt, dass alle sozialversichert sind.

Doch kommen immer häufiger die Meldungen, dass nichtproduktive Menschen, also Kinder, Rentner und Arbeitslose zu einer großen Belastung für den Staatshaushalt werden, die unbezahlbar werden.

Auch die Krankheitskosten könnten die Sozialversicherungen nicht mehr aufbringen, sodass die Allgemeinheit, also der Staat, das alles ausgleichen müsste und sich immer stärker verschulden würde. Also der nichtproduktive und der kranke Teil der Bevölkerung werden zu einer Belastung des großen Ganzen.

Aber auch die Bildung, die Schulen sind zu teuer, sodass baufällige Schulen gar nicht mehr repariert werden können.

Um was es eigentlich ging, bemerkte man deutlicher in der so genannten Banken-krise. Der Staat kann nicht für die Bevölkerung sorgen, wenn es notwendig ist, denn er benötigt das Geld ja, um den Spekulanten ihre Schulden zu zahlen, wenn diese mal keine Gewinne einstreichen, sondern Verluste haben. Sieh an, jetzt ist plötzlich Geld da, und die Pleitebanker streichen sich vergnügt aus den Staatsverschuldungen ihre Bonis ein.

Das alles muss ja wieder erarbeitet werden, von dem anderen Teil der Bevölkerung, der keine Belastung ist, weil er derzeit Geld in die Kassen der Konzerne und der Banken arbeitet. Nur wenn er was zu bekommen hätte, für die Arbeit all die jahre wäre er ein Problem.

So richtig auf die Pauke haute ja der Außenminister, der die Arbeitslosenhilfe-Empfängerinnen, was ja jetzt Hartz-IV-Empfänger- Innen genannt wird, und die Sozialhifeempfänger- Innen, was auch Hartz-IV heißt, scharf angegriffen hat.

Es klang so, als wenn diese ein faulenzender Bodensatz der Bevölkerung sei, den sich die Gesellschaft nicht mehr leisten könne. Es wird von Menschen geredet, die schon ganze Hartz-IV-Dynastien gebildet hätten, statt fleißig einem Beruf nachzugehen. Und dafür müssten alle ehrlich arbeitende Menschen zahlen, was so nicht weitergehen könne. „Leistung muss sich lohnen“, behauptet der Außenminister. Aber was sind denn aus seiner Sicht Leistungen?

Da gibt es Menschen, die sich 8 Stun-den und mehr täglich abrackern, doch sie verdienen so wenig, dass sie noch Sozialhilfe benötigen, z.B. um ihre Miete zu zahlen.

Der soziale Abstieg ganzer Schich-ten der Bevölkerung ist die Folge von Schröders Hartz-IV-Gesetzen, an denen aber 4 Parteien beteiligt waren: rotgrün über den Bundestag und schwarzgelb über den Bundesrat.

Das führte dazu, dass die SPD einen großen Teil ihrer WählerInnen verlor, da viele ArbeitnehmerInnen sie nun nicht mehr wählen konnten.

Und nun sitzt diese junge Frau in einem Schwulenlokal mir gegenüber und schimpft auf die SPD. Weil die für Hartz-IV verantwortlich wäre. Und diese faulen Epfänger von dem ganzen Geld hätten oftmals mehr als Leute, die arbeiten würden.
Da klingt mir allerdings Westerwelles Demagogie in den Ohren. Sie hasst die SPD, weil die den ärmeren Teilen der Bevölkerung zu viel geben würde.

In unserer Szene gibt es Menschen unterschiedlicher Art, klügere und andere, Hartz-IV-EmpfänerInnen und andere. Und es gibt leider auch Rechtsradikale unter den Schwulen und Lesben, denen man in den Lokalen begegnen kann.
Und die reden bisweilen Ähnliches wie Westerwelle. Und viele finden sich klug, wenn sie so etwas rumerzählen.

Wir lesbischen und schwulen Menschen tun gut daran, wenn wir politischen Demagogen nicht folgen, auch wenn sie noch aus der polititischen Mitte kommen und auch wenn sich unter ihnen homosexuelle Menschen befinden.

Genauer: wenn jemand die Armen, die Hartz-IV-EmpfängerInnen zu Schuldigen an der Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung macht, wenn man den Armen die Mittel noch weiter körzen will, damit Menschen in Arbeit mehr als sie haben, statt den ArbeitnehmerInnen so viel zu bezahlen, dass sie davon leben können, dann handelt es sich um eine gefährliche Demagogie, die aus unserer Geschichte bekannt ist: die Opfer der Zustände werden zu Schuldigen erklärt.

Das kennen wir doch auch aus anderen Zusammenhängen: die Opfer der Schwulenverfolgung sind selber schuld, die Opfer von Hungerkatastrophen essen zu viel, die Ärmsten der Armen sind selber schuld, usw.

Wenn die Rente nicht mehr ausreicht und Hilfe nötig ist, wenn die Pflege der Alten in Pflegeheimen angeblich viel zu viel kostet (zu viel gegenüber was?), wenn Arbeitsunfähige zu viel kosten, wenn also so argumentiert wird, dann sind wir an einem gefährlichen Punkt angekommen.
Statt bei dem Mitmenschen, der anderen hilft und Verständnis füreinander hat, sind wir beim Unmenschen angekommen, der mit Unmenschlichkeit und Brutalität erst im Denken und dann im Handeln in Wirklichkeit nur ein nützlicher Idiot für andere ist.

Wir haben festgestellt, dass unter erstaunlich vielen jungen Lesben und Schwulen Gedanken im Umlauf sind, die furchtbar wären, wenn sie zu Handlungen werden. Damit unterscheiden sie sich nicht von heterosexuellen Jugendlichen.

„Was daaas kostet!“, dieser Vorwurf scheint besonders dann die eher ärmeren Menschen zu erschrecken, wenn es darum geht, anderen ärmeren Menschen zu helfen.
Gut, es kann ja sein, dass es ärmere Menschen gibt, die sich nicht mehr die Mühe geben, eine bezahlte Arbeit zu finden. Aber genau diese Version der Hartz-IV-EmpfängerInnen wird mir ein bisschen zu oft erzählt und über die Medien verbreitet.

Und weil es 1-Euro-Jobber gibt, die entusiastisch für fast nichts arbeiten tut man so, als ob all die anderen Hartz-IV-EmpfängerInnen die fausten und versoffensten Menschen seien, die es in unserem Lande gibt.
Ich persönlich kenne zum Beispiel einen Menschen, der seit Jahren fast kein Geld und nicht nur aus gesundheitlichen Gründen auch keine Arbeit hat. Und der führt ein karges Leben und meldet sich auch überhaupt nicht beim Sozialamt, weil sich das erst mal bei seiner alten Mutter melden würde. Und das möchte er der älteren Dame nicht antun.

Von anderen Leuten weiß ich, dass die einfach auf ihrer Arbeit zu wenig verdienen, und die kommen mit ihrer Miete nicht zurecht, brauchen also zusätzlich auch noch Hartz-IV. Auch über deren Schicksal erfährt man weder in den Kneipen noch in den Medien etwas. Vermutlich, weil deren Scxhicksal weniger lustig ist und es keinen Spaß macht, sie weiterzuerzählen.

Und auf einmal wurde mir klar, dass die reichen Profiteure gar keine Angst vor den ärmeren Leuten zu haben brauchen. Denn die ärmeren Leute denken in den Gedanken der reichen Leute, sorgen sich um deren Wohl und das Wohl von deren Propagan-distern. Und zwar, weil sie glauben, sie könnten auch mal reich werden und dann würden sie auch so handeln wie die, die dies Löhne drücken und lieber die Menschcen in prekäre Arbeitsverhältnisse stecken und die über die Hartz-IV-EmfängerInnen schimpfen.

Und so erzälen sie deren Geschichte weiter und schimfen auch über die armen Leute, die sich angeblich keine Mühe geben, zum allgemeinen gesellschaftlichen Wohl beizutragen.
Und wie die Reichen glauben sie, dass das staatliche Geld nicht für soziale Hilfen verschwendet werden sollte. Wenn es ausgegeben werden soll, dann, um den Reichen zu helfen, wenn sie sich mal verspekuliert haben, um wieder auf die beine zu kommen.

Und aus der Sicht der potenziellen reichen Leute gibt es andere Leute, die in der Gesellschaft überhaupt völlig entbehrlich sind. Sie nutzen niemanden, weder über ihre Arbeit, denn die wird nich gebraucht, noch über ihren Konsum, denn dazu fehlt ihnen das Geld. Nicht einmal als WählerInnen oder nterstützerInnen für die rechte Sache sind sie zu gebrauchen.

Das denken viele offensichtlich und sie hoffen dabei, dass sie auch bald mal reich genug sind, und dass es für sie dann einen logischen Sinn machen, so mies zu denken und zu reden. Es wäre freilich mörderisch und katastrophal, wenn sie das, was sie sagen, auch machen würden.

Da sie alle aber nicht reich werden, das ihnen die großartige Geschäftsidee nicht einfällt, werden sie durch solche Gedanken und nur davon abgehalten, im eigenen Interesse zu handeln und mit ihrewsgleichen, also mit uns, solidarisch zu sein.

Gäbe es noch unentdeckte Möglichkeiten, so einfach mal reich zu werden, dann wäre dies längst die Unterabteilung eines der größeren Konzerne und unsereins käme gerade da nicht ran. Irgendjemand muss ja auch die Arbeit machen und an allem Schlechten schuldig sein. (js)
 
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