102. Print-Ausgabe, Frühlings-LUST 10
 
Kirche und Sexualität
Während ganz besonders die katholische Kirche ihre Macht benutzt, eine Verpartnerung oder eine Eheschließung homosexueller Menschen zuverhindern, hat sie bei sexuellen Übergriffen kirchlicher Autoritäten auf Kinder offenbar eher milde weggesehen und die TäterInnen geschont statt sie anzuzeigen.
 
Dass es irgendwie Sex gibt, ist auch der offiziellen Kirche nicht verborgen geblieben. Im Grunde lebt sie ja auch davon. Nicht direkt von der Sexualität, sondern eher von den durch sie vermittelten Schuldgefühlen der Menschen für ihre Sehnsucht nach ausgelebter sexueller Lust.

Pubertäre Jungs stöhnen bei der Beichte, wenn sie ihrem Pfarrer erzählen müssen, was genau sie gemacht haben, wenn sie sich „selbst befleckt” haben, und es stöhnt dann auch der Pfarrer, wenn er sich von den Phantasien erzählen lässt, die die Jungs dabei hatten.

Das sind solche Geschichten, die grinsend weitererzählt werden, wie auch die Geschichten über die Messdiener, und ein Zuhöhrer, der kein Katholik ist, weiß nicht, ob er diesen schwitzigen Geschichten glauben soll oder nicht. Man erzählt sich diese Geschichten gerne, weil man die nicht liebt, die moralisierend in unser Leben eingreifen und man wünscht es ihnen boshaft, dass sie schwach werden und dass sie an ihren „Fehltritten“ leiden.

Inzwischen scheint sich der Vorhang vor solchen Geheimnissen etwas zu lichten. Es ist im Prinzip genau so, wie erzählt wird, und es ist ganz anders.

Sexualität ist anscheinend nach der katholischen Sexualmoral eine ziemlich schlimme Sache, Lust ist eine Sache des Teufels und kirchlisch nur dann erträglich, wenn es sich um Heterosexualität in der Institution der von der Kirche gestifteten Ehe vor Gott handelt. (Klar, Kinder müssen schon gezeugt werden, doch am besten schon im Mutterleib der Kirche beitreten). Alles andere ist sündhaft, auch die Selbstbefriedigung, sogar die „unkeuschen Gedanken”.
Ich weiß nicht, wie viele der gläubigen Mitglieder der katholischen Kirche dies noch heute so sehen, denn heute haben ja die meisten Leute so eine Art selbst zusammengestellte Petchwork-Religion.

Die Pfarrer jedoch müssen ja wohl ihren „wahren Glauben” verkünden. Und weil sie keine anderen Sank-tionsmöglichkeiten mehr gaben, als den Leuten im religiösen Sinne Angst zu machen, können sie ihre Ansichten auch nicht mehr so durchsetzen wie früher, als sie noch real über Leben und Tod entscheiden konnten.

Aber Kirchen haben ja immer noch einen großen Zugriff auf das Leben von Menschen, nämlich dann, wenn diese den Kirchenvetretern direkt ausgeliefert sind, in Heimen und ähnlichen Einrichtungen.

Zwar ist die Kirche ja, was die Güte ihrer Einrichtungen betrifft, über jeden Zweifel erhaben. Etwas anderes anzunehmen wäre ja schon ebenso schlimm wie Zweifel an ihren Glaubenssätzen.

Doch immer häufiger und deutlicher sickert durch, dass so manche frommen Gottesmänner und übrigens auch fromme Gottesfrauen, wie in „Mona Lisa“ über von Nonnen missbrauchte und geprügelte Kinder berichtet wurde, dass diese, wenn sie können wie sie wollen, sich in einer Weise an den ihnen anvertrauten Kindern ausgetobt haben, wie man das sonst eher von ganz anderen Menschen für möglich hielt.

Offensichtlich geschieht durch die kirchlichen Betreuer das gleiche oder mehr als in staatlichen Einrichtungen, offensichtlich wurde und wird dies von Seiten der Kirchenhierarchie mhr gelitten als z.B. die Ehe für Homosexuelle in der Gesellschaft, offensichtlich gehen auf jeden Fall gingen die Kirchenoberen mit StraftäterInnen in diesem Bereich milder um als es der Staat mit seine Gesetzen tun würde und offensichtlich maßen sich die kirchlischen Institutionen das Recht an, selber zu entscheiden, ob sie strafbare Verhaltensweisen zur Anzeige bringen oder durch Versetzungen verschleiern. Offensichtlich benutzten (und benutzen?) sie ihren Einfluss auf Kirchenmitglieder und Betroffenen, dass diese ihrerseits die Sachew auf sich beruhen ließen und lassen oder sich selber für schuldhaft halten.

Was die Rolle der StraftäterInnen betrifft, so ist für Außenstehende deren Verhalten kaum nachzuvollziehen. Glauben diese denn, was sie tun, sei wohlgetan, weil sie Kirchenleute sind?

Und die kirche selber, glaubt diese denn, dass die innerkirchlichen Reglungen sie von den staatlichen Gestzen frei machen? Betrachten sich die kirchlischcen Einrichtungen denn noch immer als Einrichtungen, die über den staatlichen Gesetzen stehen?

Nun gut, man könnte einwenden, dass die staatliche Gerichtsbarkeit aktuellen zeitlichen Wandlungen unterlaufen ist und dass die Kirche die Jahrtausende überdauert hat und insofern einen größeren Überblick hat, der sie befähigt, besser als der Staat zwischen gut und böse zu unterscheiden. Vielleicht kommt man auch noch mit der Rolle der kirche in der Nazizeit. Über die sprechen wir hier aber lieber nicht, denn das wäre wirklich ein besonderes Thema und für die Kirche kein besonders rühmliches, trotz einiger mutiger Kirchenleute. (Siehe auch „Die Verbrechen der Christen“ in der 70. Ausgabe der Zeitschrift LUST)

Zu erwidern ist auf jeden Fall, dass es einer strikten Trennung zwischen Staat und Religion bedarf, dass Religion Privatsache der Religiösen ist und sonst nichts, und dass sich die Religionsorganisationen nicht über den Staat zu stellen haben. und was Gewalt gegenüber den Schutzbefohlenen betrifft und besonders das Thema, von dem hier die Rede ist, da kann jeder Mensch deutlich erkennen, dass hier die Diskussion über die besondere moralische Kompetenz der Kirche über gut und böse doch eindeutig und deutlich an ihre Grenzen kommt.
 
Das andere Thema, das mit der nazizeit, da handelt es sich um politische Auseinandersetzungen, und da zeigte sich ja, dass die Kirche auch in diesen Fragen parteilich ist, also aus eigenem Interesse parteilich handelt. Oder wie ist der Eingriff der Kirche in Polen gegen die Ordnung zu verstehen, die sich dort sozialistisch nannte?

Kommen wir allgemein zurück auf das Thema Kirche und Sexualität. Die Pfarrer und Kirchenoberen sind ja keine Idioten, sie wissen beim Verkünden strenger sexualitätsfeindlicher Regeln ganz genau, das dies wider die Natur der Affenart Mensch gerichtet ist und die Menschen sich überhaupt nicht daran halten.

Damit rechnet man auch nicht in der Kirche und das isat offensichtlich auch gar nicht nötig. Nötig ist das Schuldgefühl, das daraus entsteht und die Gläubigen zur Beichte drängt, damit sie von der Last dieser Sünde befreit werden. Diese Befreiung bzw. Erlösung fesselt die eifrigen Begeher solche Missetaten an die Kirche und darin besteht ein großer Teil ihrer Macht.

Nicht grundlos versuchte Bischof Mixa die sexuelle Revolution für die sexuellen Übergriffe von Pristern und anderen Betreuern der Kirche auf die ihnen anvertrauten schutzbefohlenen Kinder verantwortlich zu machen.

Natürlich kann man nicht sagen, dass es eine „sexuelle Revolution“ in der kirche gegeben hat. Diese Aussage folgt dem Dieb, der „Haltet den Dieb!“ ruft. Aber die sexuelle Revolution, die (im Rahmen der 68er Revolte) in der Gesellschaft stattfand brachte die Menschen dazu, sich für ihre sexuellen Bedürfnisse nicht mehr schuldig zu fühlen. Die trifft die Macht der kirche über ihre Gläubigen tief bis ins Mark.

Und da die Interessenslage der Kirche sowie der anderen Religionen eben so ist wie sie ist, jede Religion auf etwas andere Weise, daher wird man von ihnen auch nichts anderes zu hören und lesen bekommen als man hört und liest.

Dies entbindet uns freilich nicht davon, eine gewisse Etik auch in Fragen der Sexualität für verbindlich anzusehen.
Es gehört zu den Schutzbehauptungen von Menschen, die uns für eine Religion missionieren wollen, dass ohne die Religion die Ethik der Menschen schrecklich wäre und besonders sie in der Lage seien, einen gewissen zwischenmenschlichen Standart in der Gesellschaft zu vertreten und verbreiten.

Dazu kann ich nur anmerken, dass mit der Religion dieser vertretene Standart ständig gebrochen, unterlaufen und verletzt wird, nicht zuletzt von den Verkündern dieser moral selber, die ja selber genau wissen, dass ihr Ziel garnicht ist, eine nicht einzuhaltene Moral einzhalten, sondern Schuldgefühle beim notwendigen Brechen dieser Moral zu erzeugen. Und da sie dies genau wissen, kann man nicht davon ausgehen, dass sie lelber immer die entsprechenden Schuldgefühle haben, wenn auch sie diese Regeln durchbrechen.

Dass sie diese Regeln ebenso wie andere Menschen seit Jahrhunderten und länger durchbrechen, ist seit Jahrhunderten in der Bevölkerung bekannt, siehe unten die Karrikatur von Wilhelm Busch, der mit ihr auch die Doppelmoral der Kirche entlarvte, was damals zu einem Gotteslästerungsprozess führte, denn die Kirche ist bekanntermaßen durchaus nicht wehrlos.

Die Kirche hat, ebenso wie die Missionare anderer Religionen, nicht nur die „Moral“ über die Welt verbreitet. Wenn sie mit den Truppen der Kolonialmächte in ein Land einfiel, wurde durch die miteinfallenden Missionare zur Moral auch die Sünde eingeführt. damit ist gemeint, dass sie die Auffassung mit eingeführt hat, dass das, was zur natur der Menschcen gehört, sündhabt sei. Und dadurch ist wohl auch das Gefühl der betroffenen Menschen verlorengegangen, dass über die ständig zu verletzende Sünde der sexuellen Lust hinaus noch eine weitere wirklich „Sünde“ existiert, nämlich anderen Menschen Gewalt anzutun und sich an hilflosen Menschen zu vegreifen, zum Beispiel an Kinder.

Wenn ohnehin alle einvernehmlichen sexuellen Spiele Sünde sind, wenn ohnehin Hilflose, Abhängige und so auch Kinder gegen ihren Willen in vielen Bereichen ihres Lebens behandelt werden, wieso sollte man dann einen besonderen Respekt vor dem Willen Hilfloser und Schutzbefohlener gerade im sexuellen Zusammenhang haben?

Je massiver und srenger und daher unerfüllbarar die Moralbegriffe sind, die vekündet und schlau begründet und gerechtfertigt werden, je spürbarer die Einschnitte in die Autonomie des menschen über sein Empfinden, sein Denken und seinen Körper sind, umso weniger wird er selber ein Gefühl dafür haben, die Autonomie eines anderen Menschens über sein Gefühl, sein Denken und seinen Körper zu achten. Die Autonomie eines Mnschens gehört ja ohnehin nicht zu den Werten einer Religion.
 
 Leserbrief
Für eine neue katholische Sexualmoral /
Für eine katholische Konstitution der Hoffnung
Eine lebensbejahende, den Menschen in seiner Ganzheit annehmende Liebe, sei sie nun heterosexuell oder homosexuell, lehnt die katholische Hierarchie ab. Und angehenden Priestern wird durch eine Pädagogik der Verdrängung die Entwicklung zu mündigen Menschen mit einer reifen Einstellung zur Sexualität verwehrt. Die Politik der Verleugnung und der Vertuschung ist gescheitert. Vertrauen wir auf unsere Justiz. Sehen wir auf die Opfer innerhalb und außerhalb der Kirche.
Bischöfe, die trotz besseren Wissens der Kirche anvertraute Kinder und Jugendliche immer wieder in die Obhut von schuldig gewordenen Priestern gegeben haben, sollten das Rückgrat haben, zurück zu treten. Der Protestantismus mit seinen demokratischen Strukturen zeigt auf, wie Mann/Frau es macht.
Leibfeindlichkeit und Verdammung der Sexualität generell und der Homosexualität im Besonderen hat in der katholischen Kirche eine lange und traurige Tradition. Diese repressive katholische Sexualmoral erfährt eine ausdrückliche Bestätigung in den zahlreichen Äußerungen des jetzigen Papstes Benedikt XVI., nicht zuletzt in seiner Enzyklika “ Deus est caritas“. Sexualität ist nur im Dienste der Reproduktion der Menschheit im Rahmen der Ehe gestattet. Schwulen ist das Ausleben ihrer Sexualität generell verboten.
Die Zeit ist reif für die Schaffung einer neuen katholischen Konstitution der Hoffnung, die es den Gläubigen ermöglicht, als mündige Bürger Verantwortung für ihre Kirche zu übernehmen, sei es in mit neuer Macht ausgestatteten Synodalräten oder in neu zu schaffenden demokratisch inspirierten Gremien, in denen Klerus und Kirchenvolk gemeinsam die Geschicke der Kirche bestimmen.
Für die freie Wahl des Zölibates und für die Einführung der Frauenordination auf der Grundlage der Akzeptanz der Gleichberechtigung der Frauen in der katholischen Kirche.
Ein großes und wunderbares Potential von Frauen und Männern steht bereit.
Frankfurt, 7.3.2010
Hans-Peter Hoogen

Ich kann dem Hans-Peter und seinem Leserbrief zustimmen, dass eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, die die katholische mit der heutigen Zeit hat, kleiner würden, wenn sie ihre antisexuelle Verbohrtheit lockern würde. Aber als Außenstehender, als evangelisch erzogener Mensch, der dann später zunehmend religionsfreier wurde, nehme ich an, dass die Kirche genau dies nicht kann.

Ich selber habe den Zustand, wo ich von außen auf religiöse Organisationen blicke, als persönliche Befreiung empfunden, die es mir ermöglichte, mich in eine andere Ethik zu begeben, eine humanistische Ethik im Geist der Aufklärung. Das hat auch kreative Kräfte in mir befreit. Jeder muss damit umgehen, wie es für ihn eben gedanklich richtig und ethisch vereinbar ist. Die Autonomie des Individuums zu achten und dies mir gegenüber auch zu erwarten, das ist ein wesentlicher Bestandteil meiner Ethik.

Natürlich gibt es im menschlichen Leben Zustände, wo eine menschliche Autonomie nicht geht, und das eben in früher Kindheit und oft im hohen Alter. Dumm, dass die Einrichtungen, in die Menschen kommen, die noch nicht, vorübergehend oder nicht mehr für sich selber entscheiden können in Trägerschaften sind, die eben nicht die Garantie bieten, dass die individuelle Autonomie des Menschen so gut es eben geht gewahrt wird.

Die Menschen glaubten lange, dass zumindest die Kirchen über alle Zweifel erhaben seien. Und dass sich dies nun vor aller Welt als irrtum herausstellt, das erschreckt viele Menschen sehr. „Man kann sich ja auf gar niemenden mehr verlassen,“ höre ich bisweilen. Was hatten diese denn geglaubt? Dass es gerade in heutiger Zeit völlig altruistische Menschen und Einrichtungen gibt? Wie hätten diese denn überleben können?

Die elementaren Dinge unseres Lebens, das Leben und der Tod, die Gesundheit und das Erkranken, das Umgehen mit leidvollen Situationen wie mit glückhaften Situationen, erlebbar in der Sexualität, das kraftvolle Leben und das Erleben des körperlichen und oft auch geistigen Verfalls im Altern, das alles macht den Menschen anfällig für eine spirituelle Ansprache.

Dass wir Menschen offen für solche Ansprachen sind, ist aber kein Beleg dafür, dass es ein überwesen gibt, das gerade unser individuelles Schicksall wie das von Milliarden anderer im Auge hat und für uns besorgt ist, wie das eine Mutter dem kind gegenüber ist oder sein könnte.

Wie aber, wenn gerade in diese menschliche Affinität zum Spirituellen sich schlaue Menschen angesiedelt haben, und dem Memscnehn scheinbar das geben, was ihn über die Kürze seines Lebens hinwegtröstet, indem ihm Ewigkeit versprochen wird. Und sie vergessen bei dieser Arbeit auch die Interessen ihrer Einrichtung und ihre eigenen Interessen nicht. Und so verkünden sie zu unserem Trost, dass große Wunder eintreten, wenn man dafür sorgt, dass es den Einrichtungen und Verkündern so richtig gut geht.
 
Und wenn nun jemand daran zweifelt, dass sie von einem nicht fassbaren Überwesen dazu beauftragt sind, dann schreitet sich bisweilen der Staat ein, der zum gegenseitigen Nutzen die Verkündung deren Interessenswahrnehmung schützt und den Zweifel an deren uneigennützigen Hingabe bekämpft, wie es dem Zeichner dieses Bildchens rechts ging.

Zum Glück für die Kirche sind entsprechende Vorfälle auch in einer rennomierten Reformschule bekannt geworden. Und so wurde die Aufmerksamkeit ein bisschen auch auf andere abgelenkt, nämlich auf solche, denen man die Schuld daran leichter geben kann, weil sie angeblich der sexuellen Revolution näher stehen. (js)
 
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