100. Print-Ausgabe, Herbst-LUST 09
 
Sind unsere sexuelle Vorlieben altersabhängig?
Warum bestimmte sexuelle Wünsche erst im höheren Alter auftauchen, und wie die kommerzielle Szene sich darauf einstellt. Übrigens, man sucht bis zu letzen Tag.
Dieser Beitrag hat eine gewisse Männerdominanz, da die Cruising-Promiskuität in der schwulen Szene auftritt.

In den so genannten Männergesprächen am Arbeitsplatz war ich bisweilen in einer komplizierten Situation. Die Kollegen wussten zwar, dass ich ein schwuler Mann bin, doch hinderte es sie nicht daran, so zu reden, wie Männer reden, wenn keine Frauen anwesend sind.

Wie sich diese Gespräche durch die Anwesenheit einer dazukommenden Frau ändern, habe ich schon einmal im Artikel "die Männermoral" beschrieben, hier geht es um anderes.

Ein älterer Kollege beschrieb sehr anschaulich, was er von seiner Frau erwartete, da er nun ja nicht mehr so jung sei wie früher, wo "er" immer von alleine stand.

Sex sei immer noch gut und befriedigend, aber seine Frau müsse sich vorher schon um sein "Gutes Stück" liebevoll kümmern, damit "er" für sie bereit sei.

Ich selber, etwas jünger als er aber in unserer Szene in dem Konflikt stehend, der auf älteren schwulen Männern zukommt, hatte dieses Problem des heterosexuellen älteren Mannes so nicht im Auge.

Darüber nachdenkend fiel mir ein, dass ein Teil der Probleme der älteren heterosexuellen Männer mit 3 Themen zu tun hat:

1. mit den sexuellen Bedürfnissen der älteren heterosexuellen langjährigen Ehefrauen, die das Hochlutschen des Schwanzes oftmals nicht für so attraktiv halten, wie wir das aus den Berufsbeschreibungen von weiblichen Prostituierten wissen, die gerade in dieser Lustlücke der Ehepaare tätig sind.

2. mit dem Modell der auf Monogamie ausgerichteten Ehe, die aufgrund der langen Dauer auch eine gewissen Müdigkeit aufkommen lässt sowie Sex außerhalb dieser Bindung als etwas Problematischen erscheinen lässt.

3. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass die jugendliche Geilheit, die auf möglichst schnellen und entspannenden Vollzug ausgerichtet ist, im höheren Alter anderen sexuellen körperlichen Bedürfnissen weicht. Dies könnte als "Qualität statt Quantität" definiert werden.

Und die Frage, ob Sex im höheren Alter überhaupt noch stattfindet, brauchen wir uns hier nicht zu stellen, denn das hat sich ja schon überall herumgesprochen, hoffe ich zumindest. Allerdings gibt es eine ganze Menge von Barrieren gerade für ältere Frauen und Männer, Sex im höheren Alter zu erleben.

Wer dies nicht so recht glauben kann, dem sei folgender Textauszug hilfreich. Hier geht es um Frauen, eine ebenso mitfühlende Auflistung über die Probleme von Männern in höherem Alter habe ich nicht gefunden:
 
Und ältere Frauen?
"Es lässt sich feststellen, dass im Durchschnitt sexuelle Interessen und Bedürfnisse im Alter erhalten und Frauen bis ins hohe Alter sexuell genuss- und orgasmusfähig bleiben. Jedoch scheint insgesamt betrachtet mit zunehmendem Alter ein Libidorückgang sowie eine Abnahme der sexuellen Aktivität unbestritten. Weit verbreitet ist die Meinung, dass diese Veränderungen den hormonellen Umstellungsprozessen zuzuschreiben sind. Dabei kann hier eine komplexe Reihe von anderen Ursachen mitverantwortlich sein, die nicht nur körperliche, sondern vor allem psychologische und soziologische Gründe betreffen und auch die Partnerschaft allgemein. Dazu zählen:

internalisierte Vorurteile gegenüber der Sexualität der älteren Frau;
Befangenheit und Hemmung der Lust durch das Erleben des körperlichen Alterungsprozesses, Scham und sexueller Rückzug als mögliche Reaktion auf eine Kränkung durch das gesellschaftliche Schönheitsideal der jungen und sexuell attraktiven Frau;

Gründe auf Seiten des Partners (z.B. sexuelle Funktionsstörungen, gesundheitliche Probleme, Libidoverlust, Kränkungen). Frauen neigen dazu, die Gründe für sexuelle Probleme eher bei sich selbst zu suchen als beim Partner;

die Abnahme der Verfügbarkeit eines Sexualpartners, bedingt durch die demographische Entwicklung;

Libidoverlust im Zusammenhang mit Depressionen sowie depressiver Verstimmtheit;
hormonelle Veränderungen in der Postmenopause, die zum Beispiel zu einer Atrophie der Genitale und somit zu Lubrikations-mangel und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr führen können;
andere gesundheitliche Probleme bei der Frau oder beim Partner, die mit dem Alter zunehmen.
Im Alter werden sexuelle Bedürfnisse mitunter schamhaft als unpassend erlebt, vor allem, wenn der Partner altersbedingte Schwierigkeiten hat. Mangelnde Kommunikation, beispielsweise über Erektionsprobleme, führt dann mitunter zur völligen Aufgabe sexueller Begegnungen, obwohl befriedigende Kontakte für beide Partner möglich wären.

Manche Frauen verlieren tatsächlich gänzlich das Interesse am Sex und reagieren mit sexuellem Rückzug. Sie nutzen das Älterwerden, um sich von der Verpflichtung zu sexuellen Aktivitäten zu befreien: Über die Jahre hinweg ist es zu einer Form der Abnutzung der Partnerschaft gekommen oder sie haben jahrelang ohne Lust sexuell verkehrt und nehmen sich jetzt die Freiheit der sexuellen Verweigerung."

Männer über ein gewisses Alter hinaus erhalten selten Verständnis für ihre sexuelle Wünsche. Ihre Partnerinnen oder Partner werden eher als Opfer angesehen und sie als Täter, der doch lieber damit aufhören sollte. Als besonders schlimm werden die alten Männer dargestellt, die Sex mit deutlich jüngeren weiblichen oder männlichen Partnern mögen. Alle sind gegen sie, die heterosexuellen Frauen und Männer wie die Lesben und Schwulen. Fast alle.
 
Beobachtungen bei gayromeo und gayroyal
In der Schwulenszene haben ältere Männer nichts zu lachen. Der vorherrschende Jugendkult, die Vorleibe an jungen geilen Körpern, die auch im Alter nicht aufhört, sorgt dafür, dass die Möglichkeit einer Erfüllung im Alter immer unwahrscheinlicher wird.

Doch finden sich in beiden Gay-Kontakt-Homepages auch junge Männer, die ältere und deutlich ältere Sexpartner suchen. Es sind unter ihnen häufig auch junge Männer, die damit Geld verdienen wollen und manche, die Möchtegern-Gegenstücke zu den Promi-Ludern aus der Promi-Hetenszene darstellen.

Man findet auch junge Männer, die tatsächlich Interesse an älteren Männern haben.
Mit einigen von ihnen hatte ich sexuellen Kontakt und fand, dass diese zwar ältere Männer wollten, also auch mich, aber nicht so recht auf ihre sexuellen Bedürfnisse (meine sexuellen Bedürfnisse) eingehen wollten. Sie wollten recht schnell zur Sache kommen, waren ungeduldig, wenn meine Erektion nicht schnell genug da war und machten sich hinterher schnell auf, wenn ich ganz gerne noch kuscheln und quatschen wollte.

Was wollte ich? Den schönen jungen Körper länger mit meinen Lippen und meinen Händen genießen, längere und weniger hastige Bemühungen ihrer Lippen zur Herstellung meiner Erektion. Hinterher ein gutes Gespräch bei guter Musik und einem Glas Wein, zum Beispiel.

Das können diese heißen wilden jungen Männer wohl nicht nachvollziehen, wie ich ihre sexuelle Vorliebe an dem Körper eines alten Mannes nicht nachvollziehen kann. Sie müssen sich in der Szene wegen ihrer speziellen Neigung allerhand anhören und werden von vielen älteren Männern, wenn diese ihre Neigung kennen, umschwärmt und umworben, denn sie sind eine Minderheit. Als umschwärmte Minderheit haben sie wenig Anlass, ihr sexuelles Verhalten mehr auf ältere Männer einzustellen.

Sie gehen in der Regel deshalb nicht so sehr auf die Wünsche ihrer älteren Partner ein, weil sie Sexszenen so verstehen, wie sie ihnen gemäß sind. Die wünsche der älteren Partner beziehungsweise bei Lesben der Partnerinnen sehen sie als mögliche Sexvariante und nicht als Folge von Alterssex.
 
Nach einigen Gesprächen darüber gab es infolgedessen immerhin kleine Schritte in diese Richtung, während mir eine ältere lesbische Frau erklärte, dass es ihr auch möglich sei, ihre junge Freundin auf den altersbedingten Lubrikationsmangel hinzuweisen, also die Vagina-Trockenheit. Ihre Freundin ging immer mal darauf ein, allerdings nicht hinreichend.

Ein "professioneller" Liebhaber weit jüngerer Partner erklärte mir, dass es ihm darauf ankomme, alle "Schwächen" eines älter werdenden Mannes so gut es möglich ist zu verbergen. Er ist also scheinbar ein ebenso junger Mann wie der Umworbene, der aussieht wie ein älterer Mann, denn er weiß, dass ein junger Mann, der lieber einen älteren Mann mag, sich in die Realität eines älteren Mannes nicht hineindenken kann. Er war ja noch nie alt. Und beim Sex möchte er den jungen Mann nicht an den körperlichen Verfall eines älteren Mannes denken und erinnert sein lassen. Das geht so weit, dass der ältere Mann vor jungen Männern nicht einmal eine Brille trägt, obwohl er sie dringend nötig hat.

Professionalität gibt es allerdings auch bei solchen jungen Männern, die den Mangel an jungen Männern für alte Männer auf die eine oder andere Art wirtschaftlich nutzen. Sie gehören selten zu den erotischen Liebhabern älterer Männer. In den oben angegebenen Gay-Homepages gibt es schon recht viele von ihnen. Und da ich dort deutlich als solch ein alter Mann auftrete, wie ich nun mal bin, wenden sich schon immer mal wieder junge Männer an mich, die "TG" haben möchten (Taschengeld) oder die dort offen als Escort für ihre Dienstleistung werben. Das sind die harmlosen Männer dieses Marktes.

Diese wissen ganz genau, was sich ältere Männer wünschen, die den jungen Körper für unwiderstehlich halten. Ihre Profile sind darauf eingestellt.

Und wenn es älteren Männern passiert, dass ein solcher Traumprinz nicht direkt Geld haben möchte, sondern nur in die Wohnung will, könnte es ja sein, dass er dort (auf Kosten des Mannes) eine Zeitlang leben möchte und nicht einfach nur den alten Mann zusammenschlagen will und die Wohnung ausräumen. Viele Vorfälle dieser Art werden niemals angezeigt, weil der ältere Mann sich schämt, dass er einen Mann zu Besuch hat, er weiß auch um das abwertende gesellschaftliche Urteil über alte Männer, die junge Männer lieben.

Vor ca. 30 Jahren las ich in einem kleinen Berliner Leder-Magazin, dass zu den natürlichen Todesarten alter schwuler Männer gehöre, von gewissen Strichern ermordet zu werden. Ob das übertrieben ist?

Es ist wahr, dass sexuelle Neigungen etwas mit dem Alter zu tun haben, weil dies abhängig von der körperlichen Beschaffenheit ist. Und eine ganze Reihe älterer Männer haben durchaus ab einem bestimmten Alter Potenzprobleme, doch sagen sie das niemanden, da dies in der schwulen Szene eine Abqualifikation nach sich zieht.

Das Ansehen eines schwulen Mannes in der Szene ist aber auch der wesentliche Schlüssel zu seinen Möglichkeiten, sexuelle Kontakte zu bekommen.

Da ist das Internet günstiger, weil es anonymer ist. Es ist aber auch deutlich gefährlicher. Und so sollte man als ein alleinestehender Mann seine Adresse nicht weitergeben, sondern ein Treffen in einer Sauna, einem Pornoladen mit Cruising-Areal usw. vorschlagen. Viele "Interessierte", die dazu eingeladen werden, schrecken vor solchen Einrichtungen zurück, In einer Wohngemeinschaft lebend geht das Besuchenlassen eher, sofern man dort dafür Verständnis findet.
 
Sextechniken
Schwule ältere Männer, die den passiven Part bevorzugen, genießen das aufgeregte spritzige und potente Verhalten des jungen Mannes, sie genießen seine erotische Zuwendung und sie genießen das Gefühl, den anderen in sich zu spüren.

Der aktive Partner ist auch derjenige, der den passiven Partner umschwärmt. Und wenn er ein Traummann ist, dann ist das Gefühl der Zufriedenheit besonders spürbar.

Natürlich wäre es auch ganz gut, wenn sich beim Sex eine Erektion einstellt, obwohl dies bei passiven Analverkehr nicht unbedingt von-nöten wäre, aber das demonstrative Vorweisen der Lust rundet das ganze ja ab. Also ist auch hier bisweilen das entsprechende Potenzpräparat sehr hilfreich. Und das zärtliche Bemühen im voraus ist wichtig.

Bei schwulen Männern, die eher aktiv beim Sex sind, ist die Erektion besonders wichtig.
Viele Männer bedienen sich der Potenzmittel, alleine auch schon deshalb, weil sie sich nicht mehr sicher sein können, dass es klappt und/oder ob sich der Partner sinnvoll dabei verhält oder eher nicht.

Also bedienen sich viele der Potenzmittel, um "zu funktionieren". Ob Mittel oder nicht, ab einem bestimmten Alter ist das erotische Umfeld und Verhalten des Partners von großer Bedeutung. Sogenannte Kom-promisskandidaten kommen nicht mehr infrage, weil mit ihnen eher in Arbeit ausartet statt Lust zu machen. Das war in jungen Jahren völlig anders. Es "klappte" häufiger als Gelegenheit war, oft auch als es sinnvoll war. Und Kompromisskandidaten konnten auch zur Entspannung beitragen, danach waren genau so wenig von Interesse wie ihre Befindlichkeit.

Ältere Männer möchten doch eher das Menschliche des Partners spüren, möchten sich um den jüngeren Partner sorgen können, weil sie wollen, dass sich der jüngere Partner auch um sie sorgt.
Jede Form der Hingabe und Zuwendung wird so also als eine glückhafte und anregende Zuwendung empfunden, die auch die sexuelle Situation für den älteren Mann spannender und lustvoller macht.

Ohne die Hingabe z.B. durch ein längeres orales Vorspiel geht es für den älteren Mann nicht so gut, und wenn jugendliche Geilheit gerade am älteren Körper vorliegt, halten diese Wünsche nur auf.

Der ältere will den Körper seines von ihm körperlich vergötterten jungen Mannes an jedem cm. seines Körpers ausgiebig genießen und muss sich doch oft mit kurzen und viel zu unpersönlichen Begegnungen zufriedengeben. Und so bleibt vieles unbefriedigt.

Da fragt man sich doch destöfteren, wenn es mal wieder mehr Umstände machte als Zufriedenheit brachte: warum mache ich mir diese ganze Mühe noch immer? Muss es denn sein? Vieleicht höre ich doch auf, mit meine Bemühungen, um den Traummann zu finden?

Eingebettet sein in Beziehungsstrukturen, wo man den Eindruck hat, dass man sich umeinander sorgt, schafft Lebenszufriedenheit. Sich auf sexuelle Erfüllung freuen können, schafft zusätzlich noch Lebensglück. (js)
 
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