100. Print-Ausgabe, Herbst-LUST 09
 
Milieus statt Klassen
Marktbeobachter wie auch Politiker suchen für ihre Ziele Hilfsmittel, sich in der Bevölkerung zu orientieren.
Sie wollen wissen, wie die Menschen leben, wie ihre Reklame-Appelle oder Meinungsmanipulationen (Wahlwerbungen) wirken, wieviel Kaufkraft vorhanden ist, wie und womit diese abzuschöpfen ist, wie man bei Geldknappheit Finanzierungen scmackhaft machen kann.
 
Es interessiert sie, welche Lebensziele bei wem in der Bevölkerung vorhanden sind, wie man diese auf welche Weise modifizieren kann und welche Lebensziele man auf welche Weise flankierend bedienen kann und welche man, weil sie den Geschäften oder politischen Zielen nichts nutzen, eher verächtlich machen kann.

Wirtschaftbosse in den Medien und der Industrie, in Banken und in der Politik gehören zu den Auftraggebern der Sinus-Untersuchungen, die vielen Soziologen ein neues Betätigungsfeld bieten.
Es geht darum, die Bevölkerung einzuteilen und sie einzelnen Gruppen zuzuordnen, die wirtschaftlich und politisch von Interesse sind.

Untersuchungen nach dem Einkommen zum Beispiel und wie groß die Gruppe von Menschen ist, die von ihrem Arbeitseinkommen gar nicht leben können, gehören nicht besonders zum Interesse der Auftraggeber.

Die Menschengruppen, denen die Menschen nach bestimmten Fragestellungen zugeordnet werden, werden Milieus genannt.

Und diese Millieus werden nun zur Grundlage aller anderen Untersuchungen, bei denen es um die Einschätzung von Menschengruppen geht. Ich finde, dass darin eine große Gefahr liegt.

"Die Milieus sind das Ergebnis von mehr als zwei Jahrzehnten sozialwissenschaftlicher Forschung. Die Zielgruppenbestimmung orientiert sich an der Lebensweltanalyse unserer Gesellschaft. Die Milieus gruppieren Menschen, die sich in ihrer Lebensauffassung und Lebensweise ähneln. Grundlegende Wertorientierungen gehen dabei ebenso in die Analyse ein wie Alltagseinstellungen - zur Arbeit, zur Familie, zur Freizeit, zu Geld und Konsum. Die Milieus rücken den Menschen und seine Lebenswelt ganzheitlich ins Blickfeld. Und sie bieten deshalb dem Marketing mehr Informationen und bessere Entscheidungshilfen als herkömmliche Zielgruppenansätze," das sagen die Institute, die sich an die Industrie und die Parteien wenden.

"Die Milieus werden seit Beginn der 80er Jahre von führenden Markenartikel-Herstellern und Dienstleistungsunternehmen für das strategische Marketing, für Produktentwicklung und Kommunikation erfolgreich genutzt. Große Medienunternehmen arbeiten damit seit Jahren genauso wie Werbe- und Media-Agenturen."
 
Lifefstile-Typen
Und genau das erinnert mich an den Dokumentarfilm "Wie man Käufer kauft" Gerhard Bott, der 1985 im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesendet wurde. Es wurde die Frankfurter Werbefirma "Lürtzer, Conrad und Leo & Bornett" bei ihrer Arbeit gezeigt und die Aktuere "Art-Direktoren" usw. interviewt.

Es wurde die Bevölkerung, die man von der Werbeagentur zugunsten irgendwelcher Produkte erreichen will/wollte, in Lifestile-Beschreibungen eingeteilt. Die Bevölkerung wurde hier in 7 männlicher und 8 weibliche Typen eingeteilt, deren Beschreibung helfen sollte, genauer auf die jeweilige Gruppe zu zielen.

Zum Beispiel nach der Zuordnung in Lifstile-Typen der frühen 80er Jahre:
Bernd: der erfolgreiche Familienvater, der im Beruf Erfolg hat und für 20% der Männer steht. Sein weibliches Pendant ist die

Anneliese: die zufriedene Hausfrau und Mutter, die sich auch sozial engagiert und ebenfalls für 20% der Frauen steht.

Stefan: er ist der jüngste Lifestile-Typ und steht für 19%. Er ist der konsumfreudigste Typ, der leicht über seine Verhältnisse lebt und für Finanzfragen aufgeschlossen ist. Es ist der optimistische, selbständige jugendliche Aktivist, der schnelle Autos liebt. Ihm gegenüber steht die

Barbara: die selbstbewusste Eigenständige, die Emanzipation schon lebt. Sie ist an Selbstverwirklichung und Gleichberechtigung orientiert und bewusster als ihr Gegenstück Stefan.

Volker: ist der männliche Chauvinist, der der Emanzipation gegenüber negativ eingestellt ist und der nicht markentreu ist. Wenn man unter den Konsumenten viele Volkers hat, dann ist dies nicht tragfähig. Ihm gegenüber steht:

Inge: die überforderte und unzufriedene Hausfrau, die gerne nach Tabletten und Zigaretten greift und daher für die entsprechende Werbung einen Markt bietet.

Erich: der ausländerfeindliche reaktionäre Rentner, er steht für 14%
Ludger: der erfolgreiche Tradi-tionalist, streng gläubig und moralisch, der auf seine Gesundheit achtet.

Johanna: die altmodische pflichtbewusste Konservative, die genügsam lebt und nichts vom Rauchen und Trinken hält.

Christian: der engagierte Progressive, der linksliberale Weltbürger, der ebenfalls für 14 % steht. Ihm gegenüber steht die

Vera: die engagierte Progressive mit der besten Schulbildung, die nichts von Werbung hält und daher anders angesprochen werden muss, der Frauentyp mit den stärksten Zuwachsraten von 13 auf 18%

Wer diese Beschreibung für unvollständig empfindet, hat recht, aber dem Film waren nicht mehr Informationen zu entlocken.
 
Bewertung der Lifefstile-Typen
Die Lifestile-Typen sind nicht real auffindbare Menschen, sondern Werbe-Zielgruppen, die sich für die Marketing-Firmen aus der kusumfähigen Bevölkerung ergeben.

Wo sind die jungen Konservativen, Rassisten und Chauvinisten und wo sind die alten Progressiven? Also das war die Analyse der Werbeleute im Jahr 1980. Und wo wäre der eingestuft worden?

Joachim: der engagierte pflichtbewusste schwulenbewegte lebenslange Aktivist. Er ist ein 68er, der genügsam lebt, nicht raucht und nur mäßig trinkt. Er ist ein linker Weltbürger, der nichts von Reisen hält, weil er zuhause das finden will, was er sucht. Und er ist ein Menschenfreund, der überhaupt keinen Bezug zu den Ideologien Religion, Vaterland und Nationalismus, Mode und Lifestile hat.

Heute würden die Lifestile-Typen sicher anders aussehen.
Aber wie damals und fallen sicher auch heute viele Typen unter den Tisch, wie zum Beispiel

Joachim: der Rentner mit dem sozialromantischen- reformerischen, libertären und links-sozialistscien Gedanken, der die Auflösung des Sozialsysteme zugunsten der schleichenden Privatisierung als nicht hinnehmbar empfindet. ... Er lebt bescheiden und engagiert sich sozialpolitisch und auch dann für die Schwulenbewegung, wenn sie selber kaum mehr existiert.

Dieser Typ steht wohl für eine ganze Menge Menschen seinen Alters, aber er taucht nicht in den Lifstile-Modellen auf, weil er für den Konsum nicht von Bedeutung ist. Und dennoch gibt es ihn.
Lifestile ist die Möglichkeit, die Sprache und die Eigenheiten der anvisierten Typen kennen zu lernen. Es geht den Werbeleuten darum, die ungelebten Träume als Wunschbild, in der Warenwelt projiziert, zu verkaufen.

Einer der Werbetreibenden in dem Dokumentarfilm sagte sinngemäß außerdem: "Man muss die Leute mit den Werbeappellen immer auch ein bisschen geistig überfordern, denn so blöd, wie er tatsächlich ist, hält sich niemand."
 
Milieus
Im KulturSPIEGEL Heft 7, Juli 2006 und im Stern 31 vom 23.07.2009 wird die Frage erhoben, wie die Deutschen sind beziehungsweise bis 2020 werden. Und dazu benutzen beide Artikel so genannte "Millieus" die ihren Ursprung (Sinus-Millieus)

Wikipedia erklärt:
"Sinus-Milieu ist ein Begriff aus dem Marketing. Das Sinus-Milieu beschreibt neben den Segmentierungsvariablen geografisch, soziodemografisch und verhaltensbezogen die in den letzten Jahren immer wichtiger gewordene psychografische Variable. Die wissenschaftliche Hintergrundidee der Sinus-Milieus sind die Sozialen Milieus des französischen Soziologen Émile Durkheim.

Die Sinus-Milieus gruppieren Menschen, die sich in ihrer Lebensauffassung und Lebensweise ähneln. Die grundlegende Wertorientierung geht dabei ebenso in die Analyse ein wie Alltagseinstellungen zur Arbeit, zur Familie, zur Freizeit, zu Geld und Konsum. Zwischen den unterschiedlichen Milieus gibt es Berührungspunkte und Übergänge.

Die Sinus-Milieus werden häufig verwendet, um Produkte zielgerichteter auf dem Markt zu platzieren. Der Begriff wurde von der Firma Sinus Sociovision geschützt. Da sich die Milieugrenzen über die Zeit verschieben und auch neue Milieus entstehen können, ist eine kontinuierliche Forschung auf diesem Gebiet erforderlich. Aktuelle Ergebnisse werden von Sinus Sociovision als Sinus-Analysen vertrieben.

Der Haupteinsatzzweck der Milieus liegt in der Marktforschung. Mit ihnen lassen sich Probanden gut zu testbaren Gruppen zusammenfassen."

Die Sinus-Milieus wurden vom Heidelberger Institut Sinus Sociovision Ende der 70er Jahre in Deutschland entwickelt und mittlerweile in den meisten europäischen Ländern und in den USA realisiert.

Ein grundlegender Bestandteil des Milieu-Konzepts ist, dass es zwischen den Milieus Berührungspunkte und Übergänge gibt. Diese Überlappungspotentiale sowie die Position der Milieus in der Gesellschaft nach sozialer Lage und Grundorientierung veranschaulicht die folgende Grafik: Je höher ein Milieu in dieser Grafik angesiedelt ist, desto gehobener sind Bildung, Einkommen und Berufsgruppe; je weiter rechts es positioniert ist, desto moderner ist die Grundorientierung.

In dieser strategischen Landkarte können Produkte, Marken, Medien etc. positioniert werden."
 
Welche Millieus wurden ausgeguckt?
Das ganze ist blasig angeordnet, und die Blasen zusammengenommen sehen ähnlich aus wie ein Gehirn. In einem Koordinaten-System ist vom Bezugspunkt aus eine Linie nach oben, der die "soziale Lage" der Milleus darstellen soll. Unten ist die Unterschicht und ganz oben die Oberschicht.Vom gleichen Bezugspunkt links unten aus geht nach rechts eine waagerechte Linie, und hier geht es um die "Grundorientierung", die "Traditionelle Werte" heißt und nach rechts geht es über "Modernisierung" zu "Neuorientierung". Jedes Millieu ist nun in diesen Koordinaten eingeordnet. Die Grenzen zwischen den Milieus sind fließend; Lebenswelten sind nicht so (scheinbar) exakt eingrenzbar wie soziale Schichten. Natürlich nicht.
 
Millieus:
Ganz unten und ganz an traditionellen Werten befindet sich das Milleu der Traditiosverwurzelten, das aber nach oben bis in die mittlere Mittelschicht reicht. Diese Gruppe besteht überwiegend aus RentnerInnen. Lt. Spiegel sind es 2006 15%, schrumpfen aber bis 2020 auf 12%. Lt. Stern sind es derzeit 14%. Sie sind für soziale Sicherungssysteme und lieben Kegeln, Volksmusik und Schlager. Sie wohnen in alten Möbeln von 1960 lt. Spiegel und Eiche rustikal lt. Stern. Sie sind die Sicherheit und Ordnung liebende Nachkriegsgeneration, leben bescheiden und sparsam und haben Angst vor Wandel. Niedrige Bildung und niedriges Einkommen. Sie wählen lt. Stern 41% CDU, 31% SPD, 14% Linke, 5% Grüne, 4% FDP.

Auf gleicher sozialer Höhe aber eher in einem moderneren Millieu sind die Konsum-Materialisten, aber sie reichen nicht bis in die mittlere Mittelschicht. Sie sind die stark materialistisch geprägte Unterschicht. Das Wohnzimmer wird vom Fernseher dominiert. Sie träumen vom großen Geld und leben von geringen Löhnen und Sozialtransfers und haben meist nur geringe Bildung. Lt. Spiegel sind es 2006 11% und es werden 2020 dann 9%. Lt. Stern sind es jetzt 12%. Sie wählen 33% CDU, 31% SPD, 18% Linke, 3% Grüne und 5% FDP.

Ebenfalls ganz unten aber noch moderner, an Neuorientierung interessiert sind die Hedonisten bzw. Eskapisten. Die Hedonisten sind an Spaß orientierte Jugendliche, die auf Arbeit null Bock haben und abends in die Szene abtauchen, von Techno bis Neonazi. Hass haben sie besonders auf "Sozialschmarotzer". Sie haben eine eskapistische Weltanschauung, was auch Realitätsflucht genannt wird. 2006 sind sie 9% stark und werden 2020 dann 14% sein, gegenwärtig sind es 11%. 24% wählen CDU, 27% SPD, 11% Linke, 14% Grüne und 12% FDP.

Wieder bei den Traditionellen beginnend finden wir in der mittleren Mittelschicht das Konservative Millieu, das allerdings bis zu Oberschicht hoch reicht, gegenwärtig von 5%, 2006 auch von 5% und 2020 von 3%. Es handelt sich um das deutsche Bildungsbürgertum, das die alten Werte bewahrt und am Verfall der guten Sitten leidet. Es pflegt die "feinen Unterschiede" und ist autoritär im Denken. 62% wählen CDU, 23% SPD, 1% Linke, 7% Grüne, 7% FDP

Daneben, also etwas moderner eingestellt, finden wir die DDR-Nostalgiker, die nicht über den mittleren Mittelstand hinauskommen aber nach unten in die untere Mittelschicht ragen. Es sind gegenwärtig 4%, 2006 waren es 6% und 2010 gibt es sie nicht mehr. Es seien die resignierten Wende-Verlierer, die in der inneren Emigration leben. 16% CDU, 27% SPD, 39% Linke, 4 % Grüne, 3% FDP.

Als moderner gelten den Analytikern die Menschen der Bürgerlichen Mitte, nahezu vollständig in der mittleren Mittelschicht. Gegenwärtig 15%, 2006 waren es 16% und 2020 sind es 14%. Vernünftig, vorsichtig zielstrebig. Sie streben nach gesicherten Verhältnissen und haben Angst vor sozialem Abstieg. 40% CDU, 26% SPD, 15% Linke, 8% Grüne und 5% FDP.

Noch neuer orientiert sind die Experimentalisten, die von der unteren Mittelschicht in die mittlere Mittelschicht ragen und überwiegen hier zu finden sind. Sie stehen für 9%, waren 2006 7% und werden 2020 zu 12% anwachsen. Sie stellen die neue Boheme dar, sind extrem individualistisch, spontan und kreativ. Sie wollen sich nicht festlegen, hassen äußere Zwänge, suchen ständig neue Erfahrungen. Materieller Erfolg und Status spielen keine besondere Rolle. 14% von ihnen wählen CDU, 21% SPD, 18% Linke, 34% Grüne und 6% FDP.

Über der bürgerlichen Mitte und den Experimentalisten, moderner als die Etablierten befindet sich zwischen mittlerer und oberer Mittelschicht das Millieu der Postmateriellen. Es steht für 10%, war auch 2006 10% und wird 2020 auf 12% ansteigen sowie in die Oberschicht aufsteigen. Sie entstammen dem aufgeklärten Nach-68er-Milieu, sind lieberal und intellektuell und an den ideellen Werten orientiert. Klassische Karriere ist unwichtig, maßloser Konsum verpönt und Kritik ein Muss. 30% wählen CDU, 30% die SPD, 6% die Linke, 23% Grüne und 9% FDP.

Die Konservativen, wie gesagt, gehen von der mittleren Mittelschicht bis in die Oberschicht. Moderner schließt sich in der oberen Mittelschicht beziehungsweise der Oberschicht das etablierte Milieu an, also die Etablierten. sie bilden einen Oberschichtsdeckel über die bürgerliche Mitte und die Postmateriellen. Die Etablierten sind 10%. 2006 waren es ebenfalls 10 %, 2020 werden es noch 8% sein. Sie sind die gesellschaftliche Elite, das Establishment. Und so sind sie überdurchschnittlich gebildet, erfolgreich und situiert, oft in Führungspositionen mit hohem und höchsten Einkommen. Man legt Wert auf Stil und Status, ist interessiert an an Kultur und Politik, hat jedoch wenig Verständnis für Minderheiten. 50% der Wählerstimmen erhält die CDU, 23% die SPD, 1% die Linke, 6% die Grünen und 15% die FDP.

Als weiterer Deckel der Oberschicht über den Postmaterialisten schließen sich nach den Etablierten die Modernen Performer an. Auch ihr Milieu ist 10% groß. 2006 waren sie 8% groß, 2020 sind sie in zwei anderen Milieus verschwunden, an der Stelle ihres Milieus haben sich in die Postmateriellen begeben und es stehen neu daneben die Hyper-Experimentalisten, in die sie Übergegangen sind, und zwar 6%. Die modernen Performer sind die unkonventionelle Leistungselite. Ehrgeizig, mobil, flexibel und kreativ. Sie streben nach Selbstverwirklichung. Sie sind zumeist unter 30 Jahren, das jüngste Milieu, viele Selbständige, Schüler und Studenten, die zu 30% die CDU wählen, 21% SPD, 6% Linke, 19% Grüne und 16% FDP.
 
Die Hyper-Experimentalisten sind sehr gut ausgebildet, sehen sich als Avantgarde, sind sowohl lokal wie auch global und engagieren sich fürs schöne Leben.
 
Bewertung der Milieus
Wenn man solche Millieu-Typen sieht, dann verführt dies, sich selber dort vergleichsweise irgendwo einzufügen. Davor kann man nur warnen, da es sie um Konstruktionen handelt, denen die Menschen zugeordnet werden.

Wo ist eigentlich das jugendliche rechtsradikale Milieu angesiedelt, das in bestimmten Bereichen der "neuen Bundesländer" in die dortige ländliche und kleinstädtische Gesellschaft integriert ist? Wo sind die alten 68er, zwischenmenschlich anteilnehmend, die sich noch einmal aufgerufen fühlen, gegen den Abbau des Sozialstaates und für die Utopie vom mündigen selbstbestimmten Leben aktiv zu werden, und die in ihrem Alltag selber eher bescheiden leben?

Absurd sind die Wahlprognosen aus dem Stern, denn die SPD-Wähler sind derzeit überhaupt kaum mehr vorhanden. Ihr Anteil so wie der Anteil der Partei die Linke halten sich real deutlich in Grenzen. Die Zeit für neue reformerische linke Änderungen steht wohl nicht an. Weder die betreffenden Parteien noch größere Verbände kann solche Hoffnungen machen noch fände dies nennenswerte Resonanz in der Bevölkerung.

Die Hoffnungen in der Bevölkerung sind anders, nämlich nach der individuellen Bereicherung auch auf Kosten anderer, zur Not auch auf Kosten aller. Und dies ohne schlechtes Gewissen. Und die individuelle Schuldzuweisung wird wieder modern. Wenn jemand nichts erreicht, ist er selber schuld und es sind nicht die Verhältnisse. Dennoch werden Solche Verhältnisse geschaffen, damit eine Elite viel Geld verdienen kann. Wen jemand sozial engagiert ist, dann ist er ein Träumer, denn man erreicht nur dann etwas, wenn man damit Geld machen kann.
Auf einem solchen Boden können aus individuellen Schuldzuweisungen leicht kollektive Schuldzuweisungen werden. Nämlich: Die sind schuld.

Und "die", das können so manche Menschengruppen sein, über die man sich herzumachen wünscht.

Die Prognosen für das Jahr 2020 sind sicherlich ebenso falsch wie die Prognosen der Frankfurter Rundschau über das Jahr 2.000, geschrieben 1980 (Siehe unten).
 
Anwendungen
"Was regst du dich auf", sagt ein Freund zu mir, "das hat was mit Werbung zu tun und da sollen sie sich ruhig verkalkulieren".

Aber was der Markt will, wird zunehmend zum wesentlichsten Regulativ in allen Bereichen der Gesellschaft. Was Marktgewinn verspricht, gilt daher als richtig. Analysen bzw. deren Ergebnisse, die wirtschaftlichen Erfolg bringen, kann man ebenso in anderen Bereichen der Gesellschaft nutzen, dass es gesell-schaftspolitischen Erfolg bringt, so ist die Vermutung.
Und daher finden wir nun solche oder ähnliche Milieu-Studien in recht vielen gesellschaftlichen Bereichen. Ist man denn so sicher, das dies erfolgversprechend ist und dass die Ergebnisse auch als Grundlage der Problemlösung dienlich sein können? Ich will nicht behaupten, dass die Analysen entsprechend der Analysezielsetzung falsch sind, ich bezweifle jedoch, dass sie dort überall sinnvoll einsetzbar sind, wo dies offensichtlich bereits geschieht.
 
Homosexualität und Migration
In einem Referat an die hessischen Lesben- und Schwulengruppen über das o.a. Thema wurden wir mit theoretischen Grundlagen konfrontiert, zu denen u.a. die Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament" gehört, Nummer 5/2009 unter dem Titel "Lebenswelten von Migrantinnen und Migranten". Hier befindet sich offensichtlich in einen der Aufsätze eine Milieu-Studie zum Thema "Soziale Lage und Grundorientierung" von Migran-tInnenfamilien, und zwar alle zusammen, z.B. auch aus der früheren Sowjetunion stammende und türkische MigrantInnen.
Da befindet sich das im traditionellsten und untersten Bereich das religiösverwurzelte Milieu in der Größe von 7%. Es ist konservativreligiös mit strengen rigiden Wertvorstellungen, das in einer kulturellen Enklave lebt. Es ist ein vormodernes, sozial und kulturell isoliertes Milieu, verhaftet in den patriarchalen und religiösen Traditionen der Herkunftsregionen.

Etwas moderner und auch ein wenig bis in den unteren Mittelstand reichend befindet sich das nahezu ausschließlich im niedrigen Milieu angesiedelte traditionelle Arbeitermilieu in der Größe von 17%. Es ist das traditionelle Blue-Collar-Milieu der Arbeitsmigranten und Spätaussiedler, das nach materieller Sicherheit für sich und seine Kinder sucht und in einer traditionellen Moral verhaftet ist.

Ganz unten ist daneben das entwurzelte Milieu in der Größe von 9% angesiedelt, das nach Problemfreiheit und nach Heimat/Identität sucht und nach Geld, Ansehen und Konsum strebt. Es geht um Aufstieg, Status, Konsum und Besitz, soziale Akzeptanz und Anpassung.

Daneben und am entferntesten vom Traditionellen befindet sich das hedonistischsubkulturelle Milieu. Unangepasstes Jugendmilieu mit defizitärer Identität und Perspektive, das Spaß haben will und sich den Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft verweigert. Bikulturelle Ambivalenz und Kulturkritik.

In der Mitte zwischen "niedrig" und "mittel" befindet das adaptive bürgerliche Milieu in der Größe von 16%. es ist dies die pragmatische Mitte der Migrantenpopulation, die nach sozialer Integration und einem harmonischen Leben in gesicherten Verhältnissen strebt.

Daneben in der sozialen Mitte und etwas moderner ist das multikulturelle Performermilieu in der Größe von 13%. Es ist ein junges leistungsorientiertes Milieu mit bikulturellem Selbstverständnis, das sich mit dem westlichen Lebensver-hältnissen identifiziert und nach beruflichem Erfolg und intensiven Leben strebt.

Über den traditionellen Arbeitermilieu und der adaptiven bürgerlichen Mitte gelegen befindet sich in der Mittel- und der Oberschicht das Statusorientierte Milieu in der Größe von 12%, ein typisches Aufsteiger Milieu, das durch Leistung und Zielstrebigkeit materiellen Wohlstand und soziale Anerkennung erreichen will.

Und über dem adaptiven bürgerlichen Milieu und dem multikulturellen Performermilieu befindet sich, in der oberen Mitte und darüber gelegen das intellektuellkosmopolitische Milieu in der Größe von 11%, ein aufgeklärtes global denkendes Bildungsmilieu mit weltoffener multikultureller Grundhaltung und vielfältigen intellektuellen Interessen.
 
Menschenkenntnis
Als junger Mensch würde man sich wünschen, die Mitmenschen besser durchschauen zu können. Das wäre prima in der Rivalität mit anderen Jugendlichen, bei der Kontaktsuche, beim Manipulieren der Eltern und Lehrer zugunsten eigener Vorteile. Natürlich dürften die anderen nicht bemerken, dass man sie durchschaut und manipuliert.

Dieser Gedanke macht klar, um was es sich bei den unterschiedlichen Modellen handelt, die Menschen einzuordnen: es geht um Manipulation, Menschenführung usw. Es geht also nicht unbedingt um Hilfestellungen und dem partnerschaftlichen zwischenmenschlichen Umgang miteinander.

Dies muss man im Auge behalten, wenn solche und andere Methoden von ihren Nutznießern mal wieder schöngeredet werden. Wer seine Mitmenschen manipulieren möchte, achtet nicht unbedingt auf die Erfüllung ihrer Interessen, denn ihre Interessen sind nur insoweit von Interesse, dass man sie damit besser manipulieren kann, zu Zielen, die im eigenen Interesse des manipulieren sind.

Dies geschieht mit Lifestile-Typen, mit den Millieus und mit anderen Untersuchungen der Menschen, deren Ergebnisse dann wiederum manipulativ genutzt werden können. Und wie wird dann manipuliert?

In der Werbung macht man dies, indem man die eigenen kommerziellen Ziele mit den oftmals nichtbewussten Interessen und sublimierten nichtausgelebten Bedürfnissen verknüpt. Führungskräfte in der Wirtschaft wie auch in den Berufen der Erziehung und Wissenvermittlung bedienen sich zum Beispiel des Mittels der NLP.
 
Manipulation durch NLP
Das "Neurilinguistische Programmieren (NLP)" wird von den Anhängern fanatisch verteidigt. Doch um den Widerstand und die kritische Distanz eines Menschen zu überwinden, steigen die AnhängerInnen der NLP tief in den Zusammenhang zwischen Sprache und Psyche bzw. der Identität eines Menschen ein, indem alles, was ihn befähigen könnte, Widerstandswillen zu entwickeln, geschickt umgangen wird. Es handelt sich um Handlungsmuster zum Manipulieren aus dem Bereich der Psycholinguistik (Linguistik ist die Sprachwissenschaft).

Ich musste mich damit leider beruflich auseinandersetzen, weil ich u.a. auch als Dozent der mündlichen und schriftlichen Kommunikation genötigt wurde, an einem entsprechenden Lehrgang teilzunehmen sowie garade darüber zu unterrichten. Solche "Neuerungen" in der Lehre hängen damit zusammen, dass der Zugriff der Wirtschaft, oft mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten begründet und als "Freiheit" verkauft, auf die Bildungsstätten und Seminare zunimmt.

Die Möglichkeiten, Menschen einerseits zu bestimmten Verhaltenseisen zu manipulieren und andererseits daran zu hindern, alleine schon in ihren Vorstellungen ihre Interessen zu erkennen, nehmen zu.

Auch die Fähigkeiten, ihre Interessen mittels Sprache öffentlich zu machen, können mit ähnlichen Techniken behindert werden, und das ist das neurolinguistishce Programmieren (NLP). Das alles wird ständig perfekter. Wie stümperhaft stellte sich da der SED-Staat an, der über wenig Mittel dieser Art verfügte und sich deshalb autotitärer geben musste, als sein westlicher Konkurrent.

Der autoritäre Obrigkeitsstaat früherer Jahrhunderte regierte mit Verboten und harten Strafen zugunsten der jeweils vorherrschenden wirtschaftlichen Elite.

Heute destabilisiert der moderne marktwirtschaftlich ausgerichtete Staat andere Staaten, die noch solche autoritäre Strukturen aufweisen, wie wir es aus unserer Vergangenheit kennen, durch Freiheitsverheißungen.

Man kann dies unschädlich (auch für die Autorität) in der eigenen Bevölkerung tun, weil man weit effizientere Mittel der Einflussnahme auf das Denken der Menschen kennt. Nach einem autoritären Staatsverhalten greift man dann nur, wenn diese neuen Mittel nicht mehr ausreichen, die Bevölkerung dazu zu bringen, wo man sie hinhaben möchte. (js)
 
Prognosen über die Zukunft
Wie sich das Leben in Zukunfrtt gestalten wird, darüber gibt es zahllose Prognosen. Diese haben natürlich auch "Färbungen", je nach Hoffnungen und Befürchtungen der Prognostiker. Am besten, man schaut sich frühere Prognosen an, um dies beurteilen zu können.
Berechnungen, wo nach im Jahr 2030 jeder Arbeitnehmer 2 RentnerInnen ernähren müsse, sollen die Bevölkerung darauf vorbereiten, dass die gesetzliche Rentenversicherung in private Versicherungen umgewandelt werden sollen. Und damit siech private Rentenversicherungen auch lohnen, werden seit Jahren an den gesetzlichen zahlreiche Änderungen vorgenommen. Ist Euch schon aufgefallen, dass es um dieses Thema in letzter Zeit recht stillgeworden ist?
Auch entsprechungen bezüglich der Krankenkassern laufen in die gleiche Richtung.
Und auch hier wurden Änderungen vorgenommen, die den Umbau in die privaten erleichtern sollen.

Also sollten wir vorsichtig sein, was man uns so alles erzählt. Man erzählt es uns auf jeden Fall aus anderen Gründen, als und vorgegeben wird. Wir finden ja, dass es anders kommt, und zwar für die unteren Schichten der Bevölkerung schlechter, als gesagt wird.

Wir haben einen alten Text ausgegraben, in dem von einem Institut Prognosen erhaben wurden. Zugegeben, die konnten nicht wissen, dass der Osten vom Wesren deshalb aufgefressen wird, weil er innerlich marode war. Sie wussten nichts über heutige Kriege und über Jugendgewalt und die Weltwirtschaftskrise. Hätte man sich 1976 gedacht, dass die Bundeswehr in Afghanistan an einem Krieg telinehmen wird?
 
Frankfurter Rundschau, 29.09.76:
Wie wir um die Jahrhundertwende leben werden
An die ideale Wohnung stellt die Mehrheit von Bundesbürgern zwei wesentliche Anforderungen: Man will dort ungestört seinen Hobbys nachgehen können und andererseits die Bedürfnisse nach intensiven mitmenschlichen Kontakten befriedigen. Solche Bedürfnisse, die eine Arbeitsgruppe der Gesamthochschule Kassel jetzt analysiert, werden dazu führen, dass in den nächsten Jahren die Gründung von Wohngemeinschaften stark zunimmt.

Diese aus Kleingruppen (Paare) und Kleinfamilien zusammengesetzten Gemeinschaften werden Großwohnungen, vorwiegend für 2 bis 4 Familien suchen oder aber Häuser für bis zu 30 Bewohnern mieten oder bauen.

Diese Häuser sollen möglichst auf dem Land liegen. Sie werden - entsprechend dem Gesamteinkommen der Gemeinschaft - mit gemeinsam genutzten Gärten, Schwimmbecken, Saunas oder Hobbyräumen ausgestattet sein und enthalten auch für jedes Gruppenmitglied einen eigenen Raum.

Die Studie prophezeit auch bei den herkömmlichen Einfamilienwohnungen tiefgreifende Veränderungen: die Zuordnung der einzelnen Räume zu bestimmten Funktionen (Wohnzimmer, Schlafzimmer) wird aufgehoben werden zugunsten von eigenen Zimmern für jedes Familienmitglied.

Dafür wird aus dem traditionellen Wohnzimmer, das heute noch vielerorts als das "gute Zimmer" bezeichnet wird, ein Kommunikationsraum, der in etwa den alten Bauernküchen vergleichbar ist: hier sitzt man zum Plausch zusammen und feiert Feste.

Mit der Veränderung der Wohnweise werden auch die Lebensgewohn-heiten aufgelockert, die heute noch festgefügt zu sein scheinen.

Die Forscher glauben, dass bald die Hausarbeiten nicht mehr generell von Frauen geleistet werden, sondern gleichberechtigt von allen Familienmitgliedern (auch vom Mann) zu erbringen sind.

Auch die Kindererziehung wird nicht mehr nur die Mütter in Anspruch nehmen, denn im Jahr 2000 wird der Nachwuchs in den Wohngemeinschaften oder in hauseigenen Kinderräumen von mehreren Erwachsenen betreut werden.

Die alten Mitmenschen, die heute zumeist etwas abseits in Altersheimen wohnen, werden stärker in die Gemeinschaft integriert. Sie leben nach Meinung der Forscher in 20 Jahren weitgehend entweder mit Leuten aller Altersschichten in Hausgemeinschaften zusammen oder in Altenwohnungen, die ganz in der Nähe des früheren Lebenskreises liegen.
 
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