100. Print-Ausgabe, Herbst-LUST 09
 
Unsere Freiheit
Wenn wir früher Polizisten begegneten, war klar, dass die uns unsere Freiheit nehmen können, wenn sie bemerkten, dass wir beiden schwul sind. Heute ist es in den Innenstädten anders geworden: es kann sein, dass eine Polizeistreife mir das Gefühl der Freiheit gibt, dass ich meinem Freund einen Kuss geben kann.

Das sagte ein älterer Mann beim "Runden Tisch" hessischer Lesben- und Schwulengruppen im hessischen Sozialministerium, das im Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit untergegangen ist.

Es ist ja wahr, dass für schwule Männer in Deutschland eine größere Freiheit seitens des Staates existiert, der noch vor wenigen Jahrzehnten homosexuelle Männer als Sexualverbrecher ansah und sie mittels Polizei und Gerichte sehr sehr hinterhältig verfolgte. In Adenauers Deutschland galt der von den Nazis verschärfte § 175 StGB weiter und es wurden in dieser Zeit mehr schwule Männer verhaftet und verurteilt als in der Nazizeit. Und dafür will sich der deutsche Staat nicht entschuldigen, möchte auch keine Wiedergutmachung zahlen usw.

Für die Verfolgung schwuler Männer während der Nazizeit gibt es in Berlin ein Denkmal, das erkennt der deutsche Staat an, aber die Verfolgung in der Adenauerzeit überwiegend durch die christlichen Parteien, dies wird eher verschwiegen. Solche Menschenrechtsverletzungen können wir den Unionsparteien doch nicht so einfach durchgehen lassen. Oder?

Natürlich haben wir derzeit nicht alle Freiheiten, zum Beispiel verglichen mit der Heten-Mehrheit. Denken wir nur an das Partnerschaftsgetz, das immer noch nicht mit der Ehe gleichgestellt ist. Homophobe Organisationen wie z.B. die katholische Kirche eifern hasserfüllt gegen die Möglichkeit, dass die steuerlichen Vorteile, das Ehegattensplitting zum Beispiel, auch lesbischen oder schwulen Paaren zugute kommt.

Die Gleichstellung im Adoptionsrecht, im Erbrecht usw. ist noch nicht erreicht. Und merkwürdige Vorurteile werden bemüht, um die Ergänzung des Artikel 3 GG um unsere Freiheiten zu verhindern.

Wenn der Staat selber homophob handelt, uns verfolgt, dann haben viele Leute Oberwasser, denen es eine Lust ist, gegen Schwule vorzugehen. Aber nun, wo es keine staatliche Verfolgung von uns mehr gibt, auch wenn wir noch nicht alle Rechte haben, gibt es immer noch die Verfolgung durch homophobe Menschen, die es nicht mögen, dass wir glücklich sind. Es ist schon eine seltsame Freiheit, die man dann empfindet, wenn man unter Polizeischutz steht.

Sind wir frei? Können wir nun weitgehend zufrieden sein? Das kommt darauf an, was wir für unser Leben wollen und was als Freiheit definiert wird. Freiheit ist nicht identisch mit Anpassung. Das wird wunderbar in Kafkas "Bericht vor einer Akademie" herausgearbeitet. Ein gefangener Affe begreift, dass er dann unbehelligt unter den Menschen leben kann, wenn er darauf verzichtet, frei sein zu wollen und sich den Menschen in allem anpasst. Und dann lesen wir die spannende Geschichte, über welche Etappen der Anpassungsprozess verläuft. Dass wir nun weitgehend unbehelligt leben können, heißt bei weitem nicht, dass wir frei sind. Wir sind unbehelligt dank eines Anpassungsprozesses, der Anerkennung unter den Heten, zumindest unter den Gesetzgebern gefunden hat. Und nun ist es an den heten, mitzuhelfen, dass wir auch unbehelligt leben können. Aber deren Hilfe hat einige Pferdefüße.

Beginnen wir mit den Pferdefüßen für die Heten-männer selbst. Viele haben als eigene Identität die Bekämpfung von jeglicher Form von dem, was sie Weiblichkeit nennen, in sich und in anderen Män-nern. Und Homosexualität ist für sie unmännlich, gemäß ihrem verdrehten Bild über Männlichkeit, Weiblichkeit und Homosexualität. Von denen erwarten wir also auch Hilfe beim Verteidigen unserer Menschenrechte? Naja, helfen wir ihnen doch bei ihrem Versuch.

In der linken Szene in Wiesbaden, in der ich auch seit vielen Jahren lebe, versuchte ich in der Zeit, in der § 175 StGB noch existierte, diese Linken als Bündnispartner zu gewinnen. Einer, der mir im Grunde immer Recht gab, erklärte mir, warum das für ihn nicht infrage komme, nämlich, weil er befürchtete, selber für schwul gehalten zu werden, wenn er dies mache. Tja, wer nicht gegen Schwule ist, der ist schwul, so heißt das, und schwul sein, das ist dann ja wohl offensichtlich schlecht. Hat sich das nun geändert?

Ein Teil heterosexueller Frauen haben auch was gegen Schwule. Es sind die, die auf Machos stehen und es für nötig halten, Männer, die ihnen nicht wie Machos erscheinen, niederzumachen. Und wenn sie annehmen, dass ein Mann schwul ist, spielen sie ihr ganzes Repertoire ab. Auch bei solchen Frauen habe ich so meine Zweifel.

Aber die brauchen es ja am meisten, dass sie in die Lage kommen, uns und unsere Menschenrechte zu verteidigen. Müssen wir die Freiheit, so zu sein, wie wir sind, durch Menschen verteidigen lassen, die uns im Grunde gar nicht billigen?

Ja, auch von ihnen. Und es wäre dabei gar nicht mal schlecht, wenn man sie selber für Lesben und Schwule halten und sie das spüren lassen würde. Gut, es klappt vieleicht nicht immer, dass sie erfolgreich sind, unsere Rechte zu verteidigen, das ist aber auch bisweilen der Fall, wenn wir es selber versuchen.

Freiheit ist immer die Freiheit der andersdenken-den? Aber die Andersdenkenden, wenn sie z.B. homophob sind, haben bei aller Freiheit nicht das Recht, uns zu beleidigen, diskriminieren und anzugreifen, weil dies kein Mensch mit einem anderen Menschen darf. Als mich am Infostand ein religiöser Mensch "Sünder" nannte, lachte ich nicht darüber und ihn somit aus, sondern ich regte mich demonstrativ auf, dass er mich hier beleidige und dass er dies zu unterlassen habe. Er war ganz verblüfft, wo er doch annahm, dass das, was er sagte, richtig sei, weil dies von seinem Gott kommt. Und gegen Gott hat keiner zu sein? Sein Gott hat da nämlich eine Ausrede: es gibt ihn nicht.

Wer uns angreift, muss merken, dass dies kein Spaß ist, auch wenn uns vielleicht zum Lachen ist, denn der Hintergrund ist ja immerhin auch eine ernste Sache, nämlich eine gezielte homophobe Menschenrechtsverletzung zum Nachteil homosexueller Menschen. (js)
 
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