- 100. Print-Ausgabe, Herbst-LUST 09
Sind unsere Beziehungswünsche
altersabhängig?
Warum bestimmte sexuelle Wünsche erst im höheren Alter
auftauchen, und wie die kommerzielle Szene sich darauf einstellt.
- In was für einem Beziehungsmodell wir
gerne leben möchten, fragen sich junge Lesben und Schwule
nicht. Sie sehen das so: entweder bin
ich in einer Beziehung oder nicht. Damit sagen sie entweder lebe
ich mit meiner (meinem) Angebeteten monogam oder nicht. Alles
oder nichts, sozusagen.
Die Fragen nach einem Beziehungsmodell sind ihnen unverständlich.
Und das ist ja auch klar. Bestenfalls haben sie die Wahl, in
einer Beziehung zu leben oder in keiner Beziehung zu leben. Denn
was eine Beziehung ist, erfahren sie aus den Medien, im Freunddeskreis
und vielleicht auch aus der eigenen Familie. Da gibt es auch
nicht unterschiedliche Modelle.
Menschen unserer Szene, die längere Zeit in einer Beziehung
leben, sehen das anders. Sie wissen, dass die sexuelle Brisanz
aneinander schrittweise nachlässt, dass aber die gegenseitige
Verbindlichkeit, die Vertrautheit und der Wunsch zusammen zu
bleiben noch vorhanden sind. Und nun stellt sich die Frage, ob
man/frau auf brisanten Sex außerhalb der Beziehung verzichtet
oder ihn sich dort holt.
Heterosexuelle Männer mit Bankkonto haben dann eine kleine
Zweitwohnung und in der wohnt ein Verhältnis, meist jünger
als die Ehefrau. Nicht so Wohlhabende nutzen den Prostitutionsmarkt
usw.
Schwule Männer machen das anders. Da gibt es ja Kneipen,
Diskotheken, Saunen und vielleicht auch Stricher. Die Szene ist
zu diesem Zweck eingerichtet worden. Man nutzt derzeit auch das
Internet.
Bei den Lesben sieht das anders aus. Die dort besonders beliebte
Alles-oder-nichts-Beziehung existiert, so lange es eben geht.
Wenns nicht mehr geht, endet es mit einem wirklich großen
Krach, oft auch sehr langwierig. Unter den älteren Lesben
hört frau auch solche Auffassungen, dass dies doch recht
unwichtig sei.
Fremdgehen? Vielleicht macht sie das ja. Na und? Sie ist meine
Partnerin. Was bei schwulen Männern schon nach ca 3 Jahren
eintritt, tritt in lesbischen Beziehungen weit später ein.
So wirken eben Männer- und Frauenrolle auch in unsere Beziehungen
ein.
In einen der Filme von Helma Eller, bei denen die Besucherinnen
des Lesbenfrühlingstreffen zu jeweils einem Thema befragt
wurden, ging es auch einmal um Beziehungsvorstellungen. Und tatsächlich,
viele unterschiedliche Beziehungsvorstellungen schälen sich
dann in späteren Jahren heraus, wobei das Grundmodell im
Prinzip erhalten bleibt. So taucht zum Beispiel das Verhältnis
als Modell auf. In Heten-beziehungen sind ja Verhältnisse
parallel zur Ehe zu verorten. In den lesbischen bezeichnungen
sind die erotisierte Freundschaften auf Zeit, im Gegensatz zu
den Beziehungen, die für länger geplant sind.
Bei dem Versuch, herauszufinden, ob bestimmte Modelle in einem
bestimmten Alter dominieren, kann der Film nicht helfen, weil
ein solcher Denkansatz in den Fragen nicht intendiert war.
Dennoch beschreiben manche Frauen eine Art Beziehungsbiographie,
nämlich dass mit größerer Erfahrung auch die
Experimente zunehmen. Dies gilt es generell anzumerken. es ist
in der Regel nicht das Lebensalter, sondern es sind die Beziehungserfahrungen,
die den Ausschlag geben.
Manche Frauen haben schon in jüngeren Jahre jahrelange lesbische
Beziehungserfahrungen, manche haben sie auch im höheren
Alter nicht oder noch nicht.
Dass Freundschaften wirtschaftliche Einheiten sind, übernehmen
Lesben aus dem Hetenleben, und nur wenige Frauen haben jahrelange
Freundschaften mit eigenständigen Kassen, meist sind sie
wirtschaftlich miteinander verbunden, was oft zu zu-sätzlichen
Konflikten führen kann.
Im schwulen Bereich wurde festgestellt, dass Paare, die nach
ca. 3 Jahren Beziehungsleben mit einem Partner befragt wurden,
keine Eifersucht auf Sexkontakte des Partners mehr an den Tag
legten. Von Anfang an behalten schwule Paare finanzielle Unabhängigkeit
voneinan-der, zumindest in der Regel.
Die Treffpunkte in der Szene sind zumeist für Jugendliche
ausgelegt, nur die Kneipe bietet die Gelegenheit zur zwischenmenschlichen
Kommunikation auch älterer Menschen. Daher finden sich in
größeren Städten Kneipen, wo meistens ältere
Lesben bzw. Schwule hingehen und bisweilen auch jüngere,
die gerne mit älteren zusammen sein möchten. Hier kennt
man sich mit Namen und mit den Marotten, die man sich angewöhnt
hat.
Im hohen Alter finden sich doch recht viele alleinestehende lesbische
Frauen und erschreckend viele alleinstehende schwule Männer.
Alleinstehende lesbische Frauen unterscheiden sich in ihrem Leben
kaum von heterosexuellen Witwen, doch haben heterosexuelle Frauen
oftmals leibliche Kinder, während dies bei schwulen Männern
nur selten der Fall ist.
Daher kann man sagen, dass sowohl lesbische Frauen, besonders
aber schwule Männer im hohen Alter nicht von einer Familie
aufgefangen werden und aus gesellschaftliche Fürsorge angewiesen
sind, besonders im Falle körperlicher oder geistiger Schwächen.
Sowohl unter Lesben in Großstädten wie unter Schwulen
entstehen Gruppen älterer Menschen, die sich gegenseitig
unterstützen und eine gemeinsame Freizeitgestaltung erleben.
In einzelnen Fällen gibt es auch Pflegeheime für Lesben
oder Schwule, was für einen Lebensabend ohne fremde Lebensbedingungen
unabdingbar wäre. Aber solcher Einrichtungen sind sehr rar,
und junge Menschen möchten über solche Fragen in der
Regel nicht gerne nachdenken.
Sehr viele alleinelebende Lesben und Schwule, die in der Szene
nicht mehr so recht willkommen sind, leben wie alleinstehende
Heten und es wird, sofern sie nicht mehr alleine ihre Angelegenheit
regeln können, nicht unbedingt auf Besonderheiten eines
lesbischen oder schwulen Lebens geachtet.
Lesbisches und/oder schwules Zusammenleben über Generationsgrenzen
hinaus könnte diese Probleme mildern, in Wohngemeinschaften,
generationsübergreifenden Lebensgemeinschaften oder eben
speziellen sozialen Einrichtungen dafür.
Generell ist zu sagen, dass unterschiedliche Lebensmodelle in
jedem Alter auftauchen können, und dass sich dies auch in
den entsprechenden Untersuchungen so gezeigt hat, dass es aber
auf Erfahrungen und den Mut des Infragestellens tradierter Formen
ankommt. (rs/js)
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